Die weltweite Einführung des gregorianischen Kalenders war zweifellos ein historischer Fortschritt. Wieso Milliarden von Menschen dieses mittelalterliche mathematische Meisterwerk zum Anlass nehmen, sich in der Nacht zum 1.Januar in vielerlei Form daneben zu benehmen, erschließt sich mir allerdings nicht. Daher erkläre ich hiermit Silvester zumindestens in Deutschland für abgeschafft und verlege den kommenden Jahreswechsel in die Nacht vom 29. zum 30.März. Denn dann werden hierzulande die Uhren auf die Sommerzeit umgestellt, und es bleibt abends eine Stunde länger hell, was ein herausragender Grund zum Feiern sein sollte. Denn spätestens dann kann man sich auf den nahenden Frühling freuen, auf frischen Elbling auf der Terrasse, auf gegrillte Sardinen oder die ersten Salate aus dem Frühbeet. Deswegen gibt es hier und heute auch keine Rückschau auf das vergangene Jahr. Sondern den vollkommen unspektakulären Blick auf einen unspektakulären, aber dennoch enpfehlenswerten Weín für schmale Geldbeutel.
Ein Wein ist ein Wein, ist ein Wein. Stimmt nicht! Denn ohne den entsprechenden Kontext seines Genusses, kann er seine Stärken nicht entfalten. Augenfällig ist das bei der Kombination mit Speisen. Auch das allergrößte „Große Gewächs“ und der sagenhafteste Grand Cru kann vollkommen deplatziert wirken. Und auch die Stimmung oder das Wetter spielen eine wichtige Rolle.
Doch bleiben wir bei Wein und Speisen. Wer sich Meeresfrüchte oder andere Schalentiere auf den Plan geschrieben hat, kommt an einem Weißwein mit merklicher Restsüße nicht vorbei. Hier schlägt auch – egal ob asiatisch angehaucht oder nicht –die Stunde von Rieslingen, die mit so schrecklichen Bezeichnungen wie „halbtrocken“ oder „feinherb“ versehen wurden. Das Salz und die Bitterstoffe der Speise würden einen knochentrockenen Weiß- oder so ziemlich jeden Rotwein – besondern wenn er ausgeprägte Tannine hat – zum jämmerlichen Tropfen degradieren, und zwar egal, ob er fünf oder 500 Euro gekostet hat.
Als mir der feinherbe Gutsriesling vom Weingut Neef-Emmich ins Haus flatterte, konnte ich mich wieder mal nicht beherrschen. Ich gab der ersten Flasche einfach nicht genug Zeit, die Transportstrapazen angemessen auszukurieren, entsprechend unharmonisch präsentierte sich der Wein im Glas. Da ein bisschen Süße, da ein bisschen Säure und irgendwo noch ein paar gelbe Früchte, na ja…Ohnehin war mir die Flasche nicht besonders sympathisch, denn auf irgendwelche „Goldene Kammerpreismünzen“, und Medaillen von „Wein-Trophys“ reagiere ich ziemlich allergisch – wohl wissend wie inflationär und intransparent derartige Auszeichnungen vergeben werden.
Doch er sollte eine faire Chance bekommen, und so bekam er einen Platz auf der Weinkarte meines Weihnachtsmenüs, zu dem unter anderem eine sehr kräftige und gehaltvolle Consommé von Flusskrebsen gehörte. Es war ein Volltreffer! Der feinherbe Riesling betörte mit Frische, anregenden Noten von gelbem Pfirsich, Mirabelle, Grapefruit und einem Bündel heimischer Kräuter, seine Aromen sind zart mineralisch unterlegt. Säure und Restsüße sind schön austariert, was optimal mit der recht salzigen und leicht bitteren Krebsessenz harmoniert. Das er mit lediglich 6,30 Euro ins Kontor haut, macht die Sache noch sympathischer.
Was das mit Silvester zu tun hat? Absolut nichts! Aber ich habe ja auch nichts mit Silvester zu tun.
Den Riesling feinherb 2012 vom Weingut Neef-Emmich in Bermersheim (Rheinhessen) gibt es für 6,30 Euro ab Hof. Dort kann man auch weitere Bezugsquellen erfragen