Es ist kalt, es ist matschig, es ist eklig. Zeit also, für deftige, wärmende Speisen. Für mich heißt das – mindestens einmal im Jahr – die Zubereitung eines der wenigen authentischen Highlights der Berliner Küche in Angriff zu nehmen: Erbsensuppe. Berühmt wurde dieses Gericht durch den Gastronomen Aschinger, der in seinen Glanzzeiten in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über 30 Stehbierhallen und einfache Restaurants in Berlin betrieb. Für ein paar Pfennige gab es einen Teller Erbsensuppe, man bekam Nachschlag und Schrippen, so viel man wollte. Für ärmere Bewohner der Stadt war das oft die einzige Möglichkeit, eine nahrhafte warme Mahlzeit zu erhalten. Doch auch „bessere Kreise“ besuchten gerne die Läden.
Aschinger gibt’s nicht mehr, stattdessen boomen in der Hauptstadt „Tafeln“ und „Suppenküchen“, damit die Armen oder gar Obdachlosen auch schön unter sich bleiben und nicht das ästhetische Empfinden zahlender Gäste in irgendwelchen Restaurants belästigen. Im Zuge der Renaissance regionaler Küche wurden aber auch „Arme-Leute-Gerichte“ wie die Erbsensuppe wieder „gesellschaftsfähig“. Mit allerlei „Verfeinerungen“ versehen findet man sie mittlerweile sogar in Sterne-Restaurants der Hauptstadt. Als Berliner Kneipengericht ist sie allerdings (nebst der dazugehörigen Kneipen) weitgehend ausgestorben.
Wie dem auch sei: Ich mache die Erbsensuppe so, wie meine Oma mütterlicherseits es bevorzugte. Am Vortag ein sehr großes oder zwei normale frische (d.h. ungepökelte) Eisbeine in reichlich leicht gesalzenem Wasser gar kochen. Das magere Fleisch auslösen, würfeln und in den Kühlschrank stellen. Schwarten und Knochen ebenfalls aufheben. In dem Eisbeinwasser zwei Teile gelbe und ein Teil grüne Erbsen über Nacht einweichen. Am nächsten Tag in einem Teil des Wassers ein klein geschnittenes Suppengrün (Sellerie, Lauch, Petersilienwurzel und wenig Möhren) vorkochen (muss bissfest bleiben), abgießen und beiseite stellen. Anschließend die eingeweichten Erbsen weich kochen, ein Drittel heraus nehmen und den Rest mit nicht zu viel Flüssigkeit sämig pürieren. Die Suppe erneut erhitzen, Eisbeinfleisch, Suppengemüse und Erbsen rein, abschmecken mit Salz, schwarzem Pfeffer, Majoran, Liebstöckel und einem Schuss Bier, alles ein wenig köcheln lassen – fertig! Sollte die Konsistenz zu breiig sein, kann man ein wenig Eisbeinwasser (oder auch Bier) nachgießen. Das gilt vor allem, wenn man eventuelle Reste am nächsten Tag noch mal aufwärmt.
Natürlich gibt es noch andere anerkannte Berliner Varianten, z.B. mit Bauchspeck oder Kassler statt Eisbeinfleisch, sowie einer Wiener dazu. Aber die von meiner Oma ist die Beste, ich schwör’s! Zumal sie eine großartige Zweitverwertung ermöglicht. Falls man nämlich so schlau war, noch Eisbeinwasser und ein bisschen Fleisch übrig zu behalten, werden die Schwarten und Knochen nochmals kräftig ausgekocht, dabei Lorbeerblatt und Piment dazugeben. Dann abgießen, den Sud mit (nicht zu viel!) Weißweinessig verfeinern, in eine geeignete Form umgießen und langsam erkalten lassen. Wenn er zu gelieren beginnt, Fleischstücke, Gewürzgurkenscheiben und ein paar Streifen Gemüsepaprika gleichmäßig verteilen. Weiter bei Raumtemperatur erkalten lassen und dann ab in den Kühlschrank. Und schon hat man neben der Erbsensuppe quasi als Abfallprodukt noch eine hervorragende Eisbeinsülze fabriziert.
Auch als ausgewiesener Kenner der gelungenen Kombinationen von Wein und Speisen muss ich bei Erbsensuppe allerdings die Karten legen. Ein Versuch mit einem kräftigen Grauburgunder – ein Tipp von einem Spitzenkoch- konnte nicht überzeugen. Und was anderes fällt mir auch nicht ein. Also bleiben wir beim Bier und zwar am besten bei einem kräftigen, vollmundigen Pils. Und hinterher einen klaren Schnaps, z.B. Aquavit oder Kümmel. Das alles natürlich in geselliger Runde. Und schon hat man das Gefühl, dass die viel verspottete historische Berliner Genuss(un)kultur auch ihre großartigen Seiten hat.