Manchmal gibt es wichtigere Dinge als gut kochen und guten Wein trinken. Eine große Koalition der ganz besonderen Art hat sich aufgemacht, das Streikrecht in Deutschland stark einzuschränken. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kämpfen seit Jahren Hand in Hand dafür, dass gut organisierte Spartengewerkschaften wie z.B. die der Lokführer, Fluglotsen, Flugbegleiter und Ärzte keine eigenen Tarifverträge mehr abschließen dürfen. Beim ersten Anlauf 2009/10 sind sie damit auf die Nase gefallen; doch jetzt haben sie in den künftigern Regierungsparteinen CDU, CSU und SPD willige Vollstrecker gefunden. Das Vorhaben ist im Koalitionsvertrag verankert.
Über dieses Thema habe ich mich mit den Vorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, unterhalten. Das Interview erschien am Freitag im „Neuen Deutschland“
Die GDL hat sich auch für das kommende Jahr ehrgeizige tarifpolitische Ziele gesetzt. So wollen Sie bei der Deutschen Bahn eine Absicherung für Lokführer bei Berufsunfähigkeit durchsetzen. Wenn es nach der Bundesregierung geht, wird daraus nichts, weil Ihnen per Gesetz das Recht abgesprochen werden soll, eigene Tarifverträge abzuschließen. Wäre dies das Ende der GDL?
Weselsky: Vom Ende der GDL kann überhaupt keine Rede sein. Wir sprechen hier über eine Gewerkschaft, die 146 Jahre alt ist. Es sieht in der Tat so aus, dass sich die Bundesregierung im Auftrag der Unternehmerlobby, aber auch der großen DGB-Gewerkschaften auf die Fahne geschrieben hat, die Berufs- und Spartengewerkschaften auszuschalten. Aber wir werden unsere tarifpolitischen Ziele weiter verfolgen. Dazu gehört eine Lizenzverlustversicherung für Lokführer, die beispielsweise nach Suiziden auf der Strecke aufgrund der psychischen Belastung ihren Beruf nicht mehr ausüben können.
Betroffen sind außer der GDL auch andere Berufs- bzw. Spartengewerkschaften. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Wir arbeiten in dieser Frage bereits seit 2009 zusammen, als es einen ersten Vorstoß für ein Tarifeinheitsgesetz gab. Aber wir konzentrieren uns auch auf die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften, denn diese Pläne sind ja keinesfalls im Interesse der Basis. Vielmehr will da offensichtlich eine kleine Führungselite von den eigenen Versäumnissen ablenken, die dazu geführt haben, dass immer mehr Menschen den Großgewerkschaften enttäuscht den Rücken gekehrt haben.
Bislang wird vor allem mit Aufrufen und Petitionen gegen die Pläne protestiert. Doch das reicht erfahrungsgemäß kaum aus, um eine Regierung zur Umkehr zu bewegen. Wie wollen Sie weiter vorgehen?
Noch sind das weitgehend ungelegte Eier, es gibt bislang keinen konkreten Gesetzentwurf. Aber es ist sicherlich an der Zeit, eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Frage zu führen, ob es hinnehmbar ist, dass Gewerkschaften mit einem hohen Organisationsgrad per Ordre de Mufti ihrer Existenz beraubt werden.
Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, sitzt für die CDU im Bundestag. Sie sind auch Mitglied der CDU. Sehen Sie Möglichkeiten, Ihre Partei in der Frage der Tarifeinheit noch zum Umdenken zu bewegen?
Wir sehen natürlich, dass sich die CDU da von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) instrumentalisieren lässt, und werden uns bemühen, die unsägliche Mär vom Tisch zu bekommen, dass die Berufsgewerkschaften Unordnung in die Tariflandschaft bringen. Schließlich sind wir als einzige noch in der Lage, Flächentarifverträge durchzusetzen, die diesen Namen auch verdienen. Aber ich finde es wirklich erschütternd, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Partei, deren Geschichte ja untrennbar mit der Geschichte der Gewerkschaften verbunden ist, sich mit Hochdruck für ein Gesetz einsetzt, das die elementaren Rechte von Gewerkschaften beschneiden soll.
In der aktuellen Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Bahn um die Lizenzverlustversicherung werden wir beweisen, dass wir den Auftrag unserer Mitglieder ernst nehmen. Seit zwei Jahren hält uns der Arbeitgeber hin, und wenn es in der nächsten Verhandlungsrunde zu keiner deutlichen Annäherung kommt, werden wir nicht zögern, unsere Forderungen mit Streiks durchzusetzen. Auch das könnte die gesellschaftliche Debatte über die Notwendigkeit der Existenz gut organisierter Berufsgewerkschaften weiter befördern.