Chodorkowski wieder im Adlon

Michail Chodorkowski scheint das Adlon zu mögen. Jedenfalls hielt er sich dort bereits im September 2003 auf, unter anderem um einen Vortrag vor geladenen Gästen zu halten. Und schon damals war Hans-Dietrich Genscher mittenmang.  Ich war als akkreditierter Pressevertreter anwesend – und schwer beeindruckt, wie der nachstehende Kommentar belegt, der am 1. Oktober 2003 in der Tageszeitung „Junge Welt“ erschien.

 “Die Zivilgesellschaft hat viele Gesichter. In Belgrad erschien sie in Form von F-16-Kampfbomberm, in Bagdad als Koalition der Willigen, und in Russland nennt sie sich Michail Chodorkowski. Der vormalige kleine Apparatschik hat sich in den 90er Jahren einen Großteil des russischen Volksvermögens in Form der Ölvorkommen unter den Nagel gerissen und inzwischen ein Privatvermögen von vier Milliarden Dollar angehäuft. Mit soviel Geld kauft man sich keine Privatjets, Edelkonkubinen oder Südsee-Inseln mehr, sondern mindestens einen ganzen Staat. Man gründet »wohltätige« Stiftungen und »Bildungseinrichtungen«, finanziert verschiedene konkurrierende Parteien, erwirbt Zeitungen und sagt der »Bürokratie«, daß heißt all denen, die wenigstens ein Minimum an staatlichem Einfluß auf das Wirtschafts- und Politikgeschehen erhalten wollen, den Kampf an. Das Ganze nennt sich »Vormarsch der Zivilgesellschaft«, und bei so was bekommen Lichtgestalten wie Hans-Dietrich Genscher und andere Honoratioren der »Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik« noch größere Ohren, als sie ohnehin schon haben. So luden sie Chodorkowski am Montag zum Vortrag in die Berliner Nobelherberge Adlon ein. Dort bekräftigte der russische Mafiaboß mit guten CIA-Verbindungen, dass sein und anderer Großkapitalisten Geld schließlich ehrlich verdient und der Staat ohnehin überflüssig sei. Genscher und Co. nickten beifällig. Aber in Deutschland ist man eben schon weiter. Statt einer »Zivilgesellschaft« hat man dort eine etablierte parlamentarische Demokratie als Transmissionsriemen für Kapitalinteressen bereits nahezu vollkommen entwickelt.”

 Kurz darauf wurde der Oligarch eingesperrt – vollkommen zu recht, meine ich. Jetzt hat ihn Putin frei gelassen. In Deutschland wird er jetzt gefeiert und hofiert. Er heißt ja auch nicht  Edward Snowden.

 P.S. Nach der Rede Chodorkowskis im Adlon gab es damals noch einen netten Empfang. Der gefüllte Stör war sagenhaft, sollte ich auch mal probieren.     

 

 

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