Genuss ist Notwehr. Und so hat das proletarisch-revolutionäre Anti-Weihnachtsmenü am 26. Dezember in Moabit mittlerweile eine ähnlich ruhmreiche Tradition wie der Kampftag des Spargelschälers am 1.Mai in Wandlitz. Auch diesmal lassen wir es ordentlich krachen. Zunächst einmal ohne jeden Grund, aber für mich persönlich gibt es kurz vor dem Jahresende durchaus Einiges zu feiern. Immerhin habe ich einen Bandscheibenvorfall und einen Leistenbruch relativ gut überstanden. Auch mein Wandltzer Landsitz hat sich von den Orkanschäden im August mittlerweile erholt. (Danke Frank!) Ferner durfte ich plötzlich und unerwartet als Ko-Autor von Manfred „Captain Cork“ Klimek in das Projekt des „ultimativ anderen Weinbuchs“ einsteigen. Nicht zu vergessen, dass mir ein ehemaliger Arbeitsgeber nach mehrjährigem Arbeitsgerichtsprozess schließlich ein ansehnliches Schmerzensgeld für viele Jahre Wahnsinn überwies. Außerdem muss ich einem hier bereits des Öfteren erwähnten trotzkistischen Bürokraten mal zeigen, wo in der Küche der Eispickel hängt.
Schluss mit der Vorrede; jetzt wird gegessen und getrunken. Und da ich nicht alle einladen kann, gebe ich gerne ein paar Tipps zum Nachkochen, bzw. Nachtrinken. Opener der Sause wird traditionell der Elbling crémant brut von Stefan Steinmetz. Warum? Weil es der mit Abstand beste Sekt für diesen Preis (9 Euro) ist. Dazu wird ein Amuse gueule gereicht: Heuer sind es kleine Spieße mit Mango, Olive, Räucherlachs und Avocado.
Als Süppchen gibt’s eine Consommé von Flusskrebsen und Flussgarnelen. Wie geschaffen für einen feinherben Weißwein. Wir geben dem Riesling von Neef-Emmich eine faire Chance. Der weist zwar allerlei unsinnige und eher abschreckende Prämierungen auf, könnte aber mit seiner zarten Frucht (vor allem Pfirsich und Mirabelle) und der in feiner Säure eingebundenen Restsüße gut zu dem Süppchen passen. Liegt mit 6,70 ebenfalls im verträglichen Preisbereich. In der Vorprobe konnte dieser Rheinhesse nicht ganz überzeugen, allerdings war er möglicherweise noch „transportkrank“. Zur Sicherheit steht für die Consommé jedenfalls noch ein Riesling „Gondorfer Gäns“ vom Lubentiushof, dem Weingut des Günther-Jauch-Kellermeisters Andreas Barth, bereit.
Als Hauptgang kommt diesmal eine Zebrakeule mit Bohnen-Schoten-Gemüse und Süßkartoffelpüree auf den Teller. Natürlich wird die sehr fettarme Keule nicht verheizt, sondern nach dem Anbraten ca sechs Stunden bei Niedrigtemperatur (90 Grad) im Ofen gegart. Kräftiges Wild braucht als Begleiter schon ein einigermaßen großes Kaliber. Soll es bekommen: Am Start sind der 2010er Lemberger Michaelsfeder „Großes Gewächs“ vom Weingut Dautel und der 2011er Cabernet Franc „Pantera“ (der neue Topwein von Horst Hummel). Wegen der Regionalität (Zebra) darf sich auch noch ein – hoffentlich angemessener – Südafrikaner mit diesen Giganten messen, ihn steuert ein Gast bei. Übrigens: Zebra ist keineswegs snobistischer Luxus. Derzeit verkauft die hier schon des Öfteren erwähnte „Geflügel Oase“ die Keulen für 14,90 Euro pro Kilo. Das mit dem Wein wird in diesem Fall allerdings etwas teurer…..
Als Nachtisch wird – ebenfalls bereits eine große Tradition – Wandlitzer Apfelkompott mit Vanilleeis serviert. Eine gute Gelegenheit, den 2012er Lemberger Rosé Eiswein von der schwäbischen Winzergenossenschaft Cleebronn-Güglingen zu probieren.
Zum Abschluss gibt es noch eine kleine Auswahl von Schaf- Kuh- und Ziegenkäse aus brandenburgischen Demeter-Betrieben – von fließend über schimmelig bis hart. Zwar soll es immer noch Geschmacksprimaten geben, die tatsächlich Rotwein zu Käse servieren, aber die können uns mal. Bei uns wird der 2011er Rittersberg Réserve personelle Gewurztraminer von Jean Paul Schmitt kredenzt – einem jener elsässischen Bio-Winzer, die herausragend belegen, dass der schlechte Ruf dieser Region nur teilweise begründet ist.
Da ich meine lieben Gäste und besonders den natürlich auch anwesenden trotzkistischen Bürokraten inzwischen ganz gut einschätzen kann, steht natürlich auch ein Digestif bereit. Oder besser gesagt zwei: Bei der kleinen Kellerei und Privatbrennerei Kölle in Bönnigheim habe ich bei meinem jüngsten Ausflug nach Schwaben sowohl einen wunderbar klaren Bratbirnenbrand, als auch einen Blutwurzel erstanden, der ungefähr so schmeckt, wie er heißt und nichts für zarte Gemüter ist.
In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Lesern kein „frohes Weinnachtsfest“, sondern ein anständiges Gelage mit guten Freunden, kreativer Menügestaltung und anständigen bis großartigen Weinen. Denn Genuss ist bekanntlich Notwehr.