Absturz nach dem Klimawandel

Der Klimawandel hat das Jazzfest erreicht. Gestern war der 1.November und ich bewegte mich tagsüber schwitzend im T-Shirt durch meinen Garten, um rund 500 Quadratmeter Rasen und Büsche harkend vom Laub zu befreien. Anschließend gönnte ich mir das vermutlich letzte Glas Elbling, das ich in diesem Jahr auf der Terrasse trinken werde.

Als es dann abends wieder zum Jazzfest ging, war es natürlich nicht mehr so warm. Doch das Quartett des französischen Schlagzeugers Daniel Humair knüpfte nahtlos an der fast schon unwirklich-spätsommerlichen Stimmung an. Humairs Akkordionist Vincent Peirani entführte die Zuschauer mal in die Bretagne, mal auf ein Klezmer-Fest umd schließlich in orchestralen Clustern zu landen, bevor er dem freien Affen Zucker gab. Multibläser Emile Parisien hat offenbar viel Sydney Bechet gehört, aber auch David Krakauer, ohne dessen Egomanie zu reproduzieren. Altmeister Humair und Bassist Jerome Regard halten alles zusammen. Man hört sich zu auf der Bühne, sucht den Dialog. Man kann versinken in dieser Musik, man kann träumen und schwelgen – und wird dennoch immer wieder „geweckt“ , sei es von ekstatischen Solo-Licks oder rhythmischen Kabinettstückchen. Ganz großes Hörkino!

Der Absturz folgte auf dem Fuße. Zwar agierte die WDR-Bigband gewohnt trittsicher, musste sich aber durch ein verschwurbeltes Programm namens „Freedom Songs“ mühen, das irgendwie dem Fall der Mauer vor 25 Jahren gewidmet sein sollte.

Deutlich unterfordert: Die WDR.Bigband musste sogar “Winds of change” spielen.
© Ines Kaiser

Die Arrangements von Richard DeRosa bewegten sich zwischen bemüht und belanglos, auch gehört es sich einfach nicht, ernsthaften Musikern die Interpretation unsäglicher Schmachtfetzen wie „Winds of Change“ von den Scorpions zuzumuten. Zudem der als Gaststar für das Programm verpflichtete Sänger Kurt Elling sich als erschreckend eindimensionale Nullnummer entpuppte.

Schwamm drüber. Schließlich gab es noch ein Nachtkonzert, welches heftigen Budenzauber mit E-Gitarre, E-Bass und Drums versprach. Doch kann man den Jazzrock neu erfinden? Nein. Darf man trotzdem noch Jazzrock spielen? Im Prinzip schon, wenn eine einigermaßen originelle Idee hat. Hat die norwegische Gitarristin Hedvig Mollestad so eine Idee? Ich glaube, eher nicht. Es ist laut (sehr laut!), es ist krachig, wirkt aber irgendwie emotionslos. Heftig verzerrte Gitarre, nicht sonderlich intelligente Bassläufe, viel Haudrauf-Schlagzeug, jede Menge leicht staubig wirkende Hardrock-Attitüde. Dafür Slow-Motion-Kitsch bei den balladesken Stücken. Vielleicht mit Haschisch ganz gut zu ertragen, hatte ich aber nicht dabei. Möglicherweise ausbaufähig, aber am Sonnabend ziemlich nervig. Und überhaupt: Warum ist noch kein Jazzfest-Leiter auf Idee gekommen, Mike Stern einzuladen? Gerne im Trio. Gerne mit Dennis Chambers am Schlagzeug.

 

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