Ein letztes Mal: Spargelkönig Rudolf May

Der folgende Text erschien heute in der Wochenendbeilage von „Neues Deutschland“ und ist im Internet nur für Abonnenten einsehbar,. Daher hier der Text.

Zart und edelbitter

Die Spargelsaison hat begonnen. Im Akkord aus dem Boden gestochen, bringt er den Gourmet an den Rand der Ekstase. Eine Liebeserklärung samt Weinempfehlung. Von Rainer Balcerowiak

Die Spargelsaison ist in vollem Gange. In fast allen Bundesländern sorgen vornehmlich ost- und südosteuropäische Erntehelfer dafür, dass das edle Stangengemüse in ausreichenden Mengen, relativ preiswert und vor allem frisch angeboten werden kann – sie haben die Rückenschmerzen und wir den Genuss. Die Anbaufläche ist stetig gewachsen und beträgt bundesweit rund 25 000 Hektar. Spargel ist damit das mit großem Abstand am häufigsten angebaute Freilandgemüse in Deutschland. Die zu erwartende Erntemenge hängt vom Witterungsverlauf ab, doch falls Frühling und Frühsommer nicht von allzu bösartigen Wetterkapriolen geprägt werden, ist mit 110 000 bis 120 000 Tonnen zu rechne.

Die größten Anbaugebiete befinden sich rund um Nienburg (Niedersachsen), Schwetzingen (Baden) und Beelitz (Brandenburg). Auch in der Länderstatistik belegt Brandenburg mit knapp 2900 Hektar den 3. Platz. Natürlich würde kein einigermaßen lokalpatriotischer Hamburger, Kölner, Franke, Hesse, Oberbayer, Pfälzer, Thüringer oder Sachse diesen Spargel auch nur angucken, geschweige denn verzehren. Jeder schwört felsenfest auf die ganz besondere Qualität der Stangen aus seiner Region. Bekannt ist allerdings, dass weißer Spargel vor allem auf Sandböden gut gedeiht, und so gesehen hat Brandenburg einen beträchtlichen Standortvorteil.

Am 24. Juni, dem Johannistag, ist die Saison traditionell zu Ende. Die Böden sollen durch diese Begrenzung vor übermäßiger Auslaugung bewahrt werden. Auch vor und nach der Saison gibt es Spargel zu kaufen. Nicht nur Nachbarländer mit Spargeltradition wie Polen und die Niederlande produzieren in der Regel noch einige Wochen länger. Bereits im Winter kommt weißer Spargel aus Griechenland auf den Markt, Spargel aus Peru ist mittlerweile ganzjährig im Angebot. In Bezug auf Frische und Geschmack muss man da allerdings gewaltige Abstriche machen. Bei tiefgekühlter und konservierter Ware ist auch China auf dem Vormarsch.

Doch trotz globalisierter Lebensmittelmärkte bleibt weißer Spargel hierzulande in erster Linie ein saisonales Vergnügen. Und das ist auch gut so, denn Spargel ist – zumindest in Deutschland – weit mehr als »nur« ein besonders schmackhaftes Gemüse. Er markiert den Übergang zu den wärmeren Jahreszeiten und wird daher gerne auf dem Balkon, der Terrasse oder in Gartenrestaurants genossen. Er bereichert durch die vielen kleinen Buden regionaler Direktvermarkter die Einkaufskultur in den Städten. Er animiert zu Ausflügen ins Umland, sofern sich dort Spargelhöfe befinden. Denn die Frische ist das A und O. Stangen bester Qualität müssen geschlossene Köpfe haben und dürfen weder violett noch braun angelaufen sein. Beliebt ist ein sehr simpler Frischetest. Man reibt zwei Stangen aneinander; wenn es quietscht, ist alles gut, wenn nicht, dann Finger weg!

Was den Konsumenten hohen Genuss beschert, ist für die Erntehelfer Schwerstarbeit. Jede einzelne Stange muss mit der Hand freigelegt und gestochen werden, was meistens in gebückter Haltung geschieht. Die Saisonkräfte in Brandenburg kommen hauptsäch aus Polen und Rumänien. Ihre Zahl ist nicht bekannt, da sie den Behörden als EU-Ausländer nicht gemeldet werden müssen. Es dürften aber deutlich über 1000 sein. Die Grundvergütung beträgt 7,90 Euro pro Stunde, liegt also deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Angleichung erfolgt schrittweise bis 2018. 12-Stunden-Schichten und Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden und mehr sind üblich. Ein Riegel wurde allerdings der früher üblichen Praxis vorgeschoben, die ohnehin kärglichen Löhne durch horrende Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung weiter zu drücken. Diese sind jetzt bei 223 Euro pro Monat bzw. 7,63 Euro pro Tag gedeckelt und dürfen zudem erst angerechnet werden, wenn der monatliche Lohn die Pfändungsfreigrenze von 1080 Euro überschreitet.

Ruxandra Empen arbeitet für den Verein »Arbeit und Leben«, der sich in Zusammenarbeit mit dem DGB und der IG BAU um die Saisonkräfte in Brandenburg kümmert und Beratung und Hilfe anbietet. Nach ihrer Erfahrung werden die Mindestbedingungen »im Großen und Ganzen eingehalten«. Allerdings sei der Mindestlohn in der Regel an Akkordvorgaben gebunden. Wer diese nicht einhalte, müsse unter Umständen mit Kündigung rechnen. Andererseits könnten erfahrene Spargelstecher durch höhere Ernteleistungen auch deutlich mehr verdienen.

Aber natürlich sollte man Spargel nicht nur aus gewerkschaftlicher Sicht betrachten, sondern vor allem genießen. Die Grundzubereitung ist einfach: Schälen, bissfest kochen oder dämpfen – fertig. Dann aber scheiden sich die Geister. Puristen graust bei dem Gedanken, den zarten, edelbitteren Eigengeschmack mit seiner dezenten Süße und Säure durch schleimige Soßen zu verfremden oder den Spargel zu einer Beilage für Schnitzel, Schinken, Bratwurst oder Lachs zu degradieren. Sie gönnen ihm das, was ihm gebührt: Einen Soloauftritt, begleitet nur von guten Pellkartoffeln (z.B. »Linda«), zerlassener Butter und vielleicht noch etwas Petersilie. Wem das zu karg ist, der reicht eine Sauce Hollandaise oder – nicht ganz so verbreitet – Sauce Bearnaise dazu. Hoffentlich selbst zubereitet, denn die Scheußlichkeiten aus Tüten und Tetrapacks sind eine Entwürdigung des Spargels.Weitere Klassiker sind die Spargelcremesuppe, der Spargelsalat und das Spargelrisotto, das aber meistens mit grünem Spargel zubereitet wird. Unverzichtbar ist Spargel ferner als Bestandteil von zwei Traditionsgerichten: Hühnerfrikassee und Leipziger Allerlei. Dazu kommen exotische Varianten, die dem regionalen, saisonalen Charakter des Spargels aber kaum gerecht werden.

Kongenialer Partner des Spargels ist ein passender Weißwein. Trocken und leicht sollte er sein, mit merklicher Säure, sehr wenig Restzucker und eher erdig-mineralisch als fruchtbetont. Also genau so, wie man sich einen klassischen fränkischen Silvaner vorstellt, der dort seit Jahrhunderten vor allem auf Keuper und kargen Muschelkalkböden gedeiht.

Rudolf May ist ein großer Freund “karger” Silvaner. Trendy ist das nicht – dafür aber großartig, besonders zu Spargel.
Quelle; Weingut May

42 Weine haben wir getestet, aber anders, als es bei »professionellen« Weinverkostungen üblich ist. Es wurde nicht geschüttelt, geschnüffelt, gegurgelt, ausgespuckt, mit Fachbegriffen analysiert und mit Punkten bewertet – sondern schlicht und ergreifend zum Spargel mit Kartoffeln und Butter probiert. Einziges Kriterium: Passt oder passt nicht. Nach einigen Vorrunden gab es ein Finale mit fünf Weinen und einen klaren Sieger. Rudolf May aus Retzstadt hat auch in diesem – für trockene, leichte Weine eher schwierigen – Jahrgang ein wahres Prachtexemplar eines klassischen fränkischen Silvaners auf die Flasche gebracht. Rassig, schnörkellos und mit feinen Kräuternotenentpuppte er sich als perfekter Begleiter des – natürlich Beelitzer – Spargels.

Den Wein kann man auch nach der Saison zu vielen Gelegenheiten mit Genuss trinken. Für Spargel sollte aber gelten: Aufhören, wenn’s am schönsten ist – und sich dann ab sofort auf den nächsten Frühling freuen.

Den Silvaner Retzstadt 2015 gibt es für 9,50 Euro ab Hof.

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