„Ey Alter, hier kannste für’n Zehna soviel Wein trinken wiede willst“, blökt der begeisterte Besucher in sein Smartphone Auch die „Generation Flatrate“ hat die „Lange Nacht des Weines“, die am Mittwoch zum 9.Mal in der halbgentrifizierten Moabiter Markthalle veranstaltet wurde, für sich entdeckt. Während im vorderen Teil der Halle noch von weniger genussorientierten Moabitern Junkfood aus dem Discounter getragen wird, harrten im hinteren Teil bereits 17 Stände von Winzern und Vertreibern den Besuchern.
Wer nicht Flatratesaufen im Sinne hatte, kam trotzdem auf seine Kosten, wenn auch nur bedingt. Der Crémant-Sekt eines Pfälzer Produzenten weckte den spontanen Wunsch nach Benachrichtigung der Lebensmittelkontrolle oder wenigstens der Geshmackspolizei. Doch prompt wurde man mit einem fülligen, kernigen Pinot-Sekt vom „Y-Sommelier“ versöhnt, der auch noch einen richtig guten mineralischen Rheingau-Riesling zu bieten hatte. Und kaum hatte man die Enttäuschung über einen eher mageren ungarischen Erzeuger verdaut, wird einem beim Weingut Felix Waldkirch (Pfalz) exzellenter „altmodischer“ süßer Wein ohne Botrytis serviert, der noch dazu zu ziemlich albernen Preisen angeboten wird.
Es war immerhin der Tag der Wahl des durchgeknallten Sexisten und Rassisten Donald Trump zum Präsidenten der USA . Aber das haben eventorientierte Besucher halb- oder komplett gentrifizierter Locations und Kieze wohl schon abgehakt, denn die Show geht natürlich weiter.
Das Schönste an einer Weinprobe ist bekanntlich das Bier danach. Das habe ich in der „Oldenburger Klause“ zu mir genommen, einem einerseits unspektakulären, aber andererseits genau deswegen fast schon wieder filmreifen Kiez-Etablissement. Ich bin zwar kein Soziologe, aber meine empirischen Betrachtungen zur Korrelation zwischen Bierpreisen und der Haltung einiger Gäste zu einigen politischen Fragen bewegt sich durchaus in diesem Forschungsgebiet. Hier kostet das große Bier (0,4l) zwei Euro, ein auch für Hartz-IV-Bezieher einigermaßen sozialverträglicher Preis. Hier bekommt man mitunter merkwürdige Dinge zu hören, besonders über Flüchtlinge. Ich höre gerne zu und mische mich mitunter auch ein. Einige Stammgäste wissen, dass ich ein eher linker Journalist und Buchautor bin und scheinen das irgendwie zu akzeptieren. Das ist keine große Sache, aber vielleicht ein klitzekleines Mosaikteilchen von dem, was für „uns“ eigentlich ansteht. Aber welcher Linke gibt sich schon mit manchmal auch angetrunkenen „Prolls“ in eine Raucherkneipe ab.
Auf der wie üblich ausverkauften Weinsause um die Ecke war mit ziemlicher Sicherheit kein AfD-Wähler und kein Trump-Sympathisant. Es gibt hier auf engstem Raum Parallelwelten, jedenfalls so lange, bis die ärmeren Bewohner des angesagten Kiezes noch nicht komplett durch explodierende Mieten vertrieben sind. Doch viele Betroffene schimpfen lieber auf Flüchtlinge, anstatt sich zu wehren. Da gilt es, ziemlich dicke Bretter zu bohren, statt alles außerhalb seiner eigenen Lebenswelt als „Rassisten“, „Faschisten“ oder ähnliches zu titulieren. Und dieselben Leute, die sich empört gegen diesen „Pack“ wenden, wollen ihren Kiez „verteidigen“, indem sie gegen Verdichtung durch Wohnungsneubau zu Felde ziehen.
Ich bin froh, dass ich mich in beiden Welten bewege. Und so freue ich mich auch darauf, einige der in der Markthalle präsentierten Wein in Ruhe nachzuverkosten. Denn Genuss ist bekanntlich Notwehr.