Geisterfahrer in Tempelhof

Wer diesen Blog verfolgt, wird bemerkt haben, dass es hier keineswegs ausschließlich um Essen und Trinken geht. Genuss ist Notwehr, lautet das Motto und dazu gehört auch die Verteidigung der großen und kleinen Refugien der Ruhe, der Kontemplation und der Erholung, die das Leben in einem Moloch wie Berlin ein wenig erträglicher machen können.

So ist man in der Deutschen Hauptstadt zwar offensichtlich zu dämlich, einen neuen Flughafen zu bauen, dafür hat sich auf einem der beiden alten Airports eine ganz besondere Form der Stadtkultur entwickelt.  Am 30. Oktober 2008 endete der Flugbetrieb in Tempelhof, und seitdem ist auf dem riesigen Gelände inmitten dicht besiedelter Wohnviertel ein großartiges Freizeitareal entstanden. Hier kann man flanieren, Runden mit dem Skateboard oder dem Fahrrad auf den alten Start- und Landebahnen drehen. Drachen steigen lassen, grillen oder sich an „urban gardening“- Projekten beteiligen, bei denen Obst, Gemüse oder Kräuter angebaut werden. Und dies alles ohne Zutun der Politik, denn deren ursprüngliche (Schnaps)Ideen für die Nutzung des Tempelhofer Feldes erwiesen sich sehr schnell als Luftschlösser – was diesmal ausnahmsweise ein Glücksfall war.

Doch so ein ungezwungenes Refugium im Herzen der Stadt weckt natürlich Begehrlichkeiten. Und so wird jetzt tatsächlich darüber nachgedacht, das Areal für Autorennen zu missbrauchen. Die in der Regie von Großkonzernen wie Daimler, BMW und Audi durchgeführte Deutsche Tourenwagen-Meisterschaften (DTM)  soll künftig auch in Tempelhof ausgetragen werden. In der Oase der Ruhe und der guten Luft brettern dann 500 PS starke Boliden statt Fahrrädern über die Bahnen.

Noch ist nichts entschieden, doch den Berliner Verantwortlichen ist ein derartiger Irrsinn durchaus zuzutrauen. Die Berliner haben den ehemaligen Flughafen längst in Besitz genommen und mit Leben gefüllt. Es ist zu hoffen, dass derartige Pläne am massiven Widerstand derjenigen scheitern werden, die das Flair des Tempelhofer Feldes zu schätzen wissen und es erhalten wollen.

In zivilisierten Staaten wie der Schweiz sind Autorennen auf Rundkursen verboten. Damit ist in einem Land wie Deutschland, dessen Wirtschaftspolitik sehr stark von den Autokonzernen dominiert wird und in dem Autofetischismus eine Form der gemeinschaftsschädlichen Massenneurose angenommen hat, leider nicht zu rechnen. Aber es sollte doch wenigstens möglich sein, einige besonders absurde Auswüchse dieses Kultes einzudämmen.

Wie gesagt: Genuss ist Notwehr – gegen herrschende Verhältnisse und gegen genussfeindliche Akteure. Manager und Politiker, die Autorennen in Freizeitarealen planen, gehören dazu. Auch dann, wenn sie in ihrem „anderen“ Leben ein Faible für gutes Essen und hervorragende Weine entwickelt haben.

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