In der Wochenendausgabe des “Neuen Deutschland” vom 17/18. Dezember wurde mein “linkes Weihnachtsmenü” aufgetischt. Da der Text im Internet nur für Abonnenten abrufbar ist, veröffentliche ich ihn auch hier, ergänzt durch Hinweise auf die erwähnten Weine
Anständig die Plauze vollhauen
Kann man auch beim Weihnachtsessen den Klassenstandpunkt beibehalten? Von Rainer Balcerowiak
Sich mit der Familie oder Freunden anständig die Plauze vollzuhauen, gehört nach wie vor zu den beliebtesten Weihnachtsritualen in Deutschland. Dabei haben sich im Laufe der Jahrhunderte eindeutige Präferenzen für die Art der Völlerei entwickelt. Wie eine Untersuchung der Hochschule Anhalt in Bernburg ergab, soll es an den Feiertagen in der Regel immer noch der klassische Braten sein, in der Reihenfolge Gans, Ente und Pute. Dazu Grün- und/oder Rotkohl sowie Klöße bzw. gekochte Kartoffeln. Als Nachspeise erfreut sich Rote Grütze mit Vanillepudding nach wie vor großer Beliebtheit.
Aber einfach so essen, was alle essen, kommt für gestandene Linke als ausgewiesene Nonkonformisten natürlich nicht infrage. Auch in den Momenten der Völlerei verlieren wir niemals unseren Klassenstandpunkt und unsere internationalistische Gesinnung. Scheinreligiöse Besinnlichkeit ist uns fremd, vielmehr nutzen wir das Fest kurz vor dem Jahresende für eine Bilanz der nationalen und internationalen Klassenkämpfe – was sich natürlich auch auf den Tellern und in den Gläsern auf dem mit rotem Tuch ausgelegten Esstisch widerspiegelt. Entsprechend sorgsam, ja nahezu dialektisch-materialistisch wird das Weihnachtsmenü zusammengestellt.
Allerdings müssen manchmal noch ein paar Klippen umschifft werden. Was machen wir, wenn sich die Teilnahme von einem oder gar mehreren Veganern an dem Weihnachtsschmaus beim besten Willen nicht vermeiden lässt? Möglicherweise haben sich ja enge Familienangehörige dieser Sekte angeschlossen. Doch auch dieser Herausforderung begegnen wir mit marxistischer Analyse und revolutionärer Praxis. Dabei ist der wissenschaftlich-technische Fortschritt auf unserer Seite. Einschlägige Händler bieten mittlerweile beliebig formbare Soja- oder Weizenpampe in jeglicher Konsistenz an. Dazu noch ein kleines Sortiment Lebensmittelfarbe, und man kann so ziemlich jedes Gericht in einer veganen Variante nachbauen. Einfacher hat man es mit den ebenfalls zahlreicher werdenden Anhängern von Paläokost. Sie bekommen das, was man für die anderen Gäste kocht, einfach roh auf den Teller. Im Notfall bliebe noch die gute alte Losung »Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt.«
Aber jetzt kann es endlich losgehen. Beginnen wir mit der Vorspeise. Ja, es sind wirklich harte Zeiten für die französische Linke. Eingeklemmt zwischen dem Vormarsch der Rechtspopulisten und einer neoliberal gewendeten Sozialdemokratie hat sie die schwierige Aufgabe, glaubwürdige Alternativen zur herrschenden Politik zu formulieren und im Volk zu verankern. Wir fühlen uns mit ihnen verbunden und tischen auf, was auch bei keinem anständigen französischen Weihnachtsmenü fehlen darf: Pro Person ein halbes Dutzend Austern, dazu Baguette. Die Solidarität unterstreichen wir mit einem deutschen Wein, der noch dazu nahe der französischen Grenze an der südlichen Mosel gedeiht: Elbling trocken 2015 von Stephan Steinmetz, der mit seiner dezenten Frucht und knackiger Säure die leicht salzigen Austern wunderbar ergänzt.
Falls es Gäste gibt, denen sich schon beim Gedanken an Austern der Magen umdreht, wären Muscheln eine Alternative, die werden immerhin nicht roh verzehrt. Aber wenn, dann auf bretonische Art in Weißwein mit Lauch und Knoblauch, sonst wackelt die Symmetrie des internationalistischen Menüs.
Natürlich darf aus politischen und kulinarischen Gründen auch ein Abstecher nach Italien nicht fehlen. Die sozialdemokratische Renzi-Regierung hat sich mit dem gescheiterten Verfassungsreferendum aus dem Orbit geschossen, das Bankensystem wackelt bedrohlich, die Arbeitslosigkeit hat besonders bei jungen Erwachsenen einen dramatischen Stand erreicht. Auch hier ist die Linke in einer schwachen Position, Rechtspopulisten und die schwer einzuordnende Chaos-Bewegung des gelernten Komikers Beppe Grillo sind auf dem Vormarsch. Aber genusspolitisch wird Italien auch für deutsche Linke immer eine Inspirationsquelle bleiben. Wir setzen unseren Schmaus daher mit einem Steinpilz-Risotto fort. Das mag – ähnlich wie die Austern – arg extravagant oder gar snobistisch anmuten, handelt sich aber in beiden Fällen um feste Bestandteile der kulinarischen Alltagskultur dieser Länder. Beim Risotto darf man gerne auch getrocknete Steinpilze verwenden, Hauptsache, man nimmt den richtigen Reis. Auch hier bleiben wir bei unserer Linie und senden einen Weingruß aus Deutschland an die gebeutelten Nachbarn. Fündig wird man unter anderem in Franken, wo das Weingut Popp den »Julius-Echter-Berg 2015«, einen sehr ungewöhnlichen, ausgesprochen fülligen Silvaner im großen Holzfass reifen lässt. Die erdigen Noten der fränkischen Paradesorte sind – gepaart mit dezenter Holzwürze und reifen Mandel- und Birnenaromen am Gaumen – optimaler Partner für das Pilz-Risotto, sozusagen Ausdruck einer großen deutsch-italienischen Freundschaft.
Bei einem an der politischen Lage Europas orientierten Weihnachtsmenü dürfte eigentlich ein Schwenk nach Großbritannien nicht fehlen. Zum einen war die Brexit-Entscheidung eines der wichtigsten politischen Ereignisse des Jahres. Zum anderen sind in der Labour Party erstmals seit langen Phasen neoliberaler Dominanz wieder sozialistische Kräfte auf dem Vormarsch. Man würde sich gerne bei einem Gang mit den britischen Genossen freuen und auf sie anstoßen. Aber wie soll das gehen? Gehackte Innereien mit Minze? Vielleicht sogar Fish and Chips? Und das alles mit Cider runterspülen? Nö, Genossen, bei aller solidarischen Verbundenheit – was zu weit geht, geht zu weit.
Außerdem gibt es auch in unserem Land einiges zu reflektieren. Gefühlte 50 Jahre Merkel und kein Ende absehbar. Siegeszug der AfD und große Probleme, darauf eine schlagkräftige Antwort zu finden. Dennoch sollte sich kein Linker einer gewissen Heimatverbundenheit verschließen. Wer aber nicht auf dem Teller haben will, was auch Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Frauke Petry auftischen, verzichtet auf Gans und Ente und greift auf heimisches Wild zurück. Wir bleiben dabei bodenständig, meiden den edlen Rehrücken und greifen zur Wildschweinkeule mit Kartoffel-Maronen-Plätzchen und Rotkohl. Und um der Bodenständigkeit die Krone aufzusetzen, kredenzen wir dazu einen schwäbischen Rotwein. Der »Bönnigheimer Sonnenberg 2013 Lemberger« von Christian Dautel bietet am Gaumen herbe und saftige Beerenfrucht, Sauerkirsche, enorm viel Würze (vor allem Holunder) und ein bisschen Pfeffer. Und er ist garantiert nicht natural, schwefelfrei, bio-vegan-dynamisch oder in der bei Vollmond eingegrabenen Amphore vergoren, wie es derzeit Mode ist, sondern einfach nur richtig gut.
Es liegt aus naheliegenden Gründen auf der Hand, eine Nachspeise aus zweierlei roter und einer grünen Grütze zu bereiten. Das halten einige ja sogar für das Topgericht des kommenden Jahres. Beim Servieren muss man allerdings sehr sorgsam vorgehen, damit sich das nicht zu einem ungenießbaren Brei vermischt. Vor allem die aus Sauerkirschen zubereitete, etwas dunklere Rote Grütze sollte klar erkennbar bleiben. Zur süßen Nachspeise gehört natürlich ein süßer Wein. Und so beschließen wir unsere politisch-kulinarische Weihnachtssause mit einem feinen Morio Muskat von Felix Waldkirch aus der Pfalz. Kein bisschen klebrig und parfümiert, wie diese Rebsorte leider meistens daherkommt. Sondern klare, süße Frucht, knackige Säure und ein feiner Muskatton. Derart gestärkt können wir den Herausforderungen des kommenden Jahres mit revolutionärem Optimismus ins Auge schauen.
Zu den Austern (notfalls Muscheln) gibst den Elbling trocken 2015 von Stephan Steinmetz. Erhältlich für 5,40 Euro ab Hof
Das Steinpilzrisotto begleiten wir mit dem Iphöfer Julius Echter-Berg Silvaner trocken im Holzfass gereift 2015 vom Weingut Ernst Popp für 11,90 ab Hof.
Dem Brandenburger Wildschwein gönnen wir den Bönnigheimer Sonnenberg Lemberger trocken 2013 vom Weingut Dautel für 19,80 bei wirwinzer
Und der liebliche Morio Muskat Kabinett 2015 darf dann die rot-rot-grüne Grütze umschmeicheln. Denn gibt es beim Weingut Felix Waldkirch für 6,60 Euro ab Hof
Wohl bekomm’s.