Alles nur Chemie

Mit Büchern über das Zusammenspiel von Wein und Spiesen kann man mühelos einige Regalmeter füllen. Dabei wären die meisten dieser Druckerzeugnisse im Altpapiercontainer wesentlich besser aufgehoben. Das gilt besonders, wenn man in den Werken so putzige Empfehlungen wie „passt zu dunklem Fleisch“ oder „asiatischer Küche“ lesen darf. Sehr beliebt sind auch Zuordnungen  wie „würziger Käse“ oder schlicht „Fisch und Meeresfrüchte“.

Den Rotwein, der zu diesem Blue Stilton passt, würde ich gerne mal sehen
Quelle: Dominik Hundhammer/Wikipedia

Was für ein Unfug! Den Wein, der gleichermaßen gut zum Rinderschmorbraten und zum Hasenrücken passt, würde ich gerne mal kennen lernen. Und was hat ein scharfes Thai-Curry mit einer indischen Linsensuppe zu tun. Fast noch absurder ist „Fisch und Meeresfrüchte“, wenn man beispielsweise an gebratenen Zander auf der einen und in Chili, Knoblauch und Koriander marinierte Großgarnelen auf der anderen Seite denkt. Unter „würzigem Käse“ werden dann offenbar Produkte wie ein zerlaufender Munster, bereits leicht verwester Stilton und gereifter Appenzeller subsummiert; eine unlösbare Aufgabe für einen einzelnen Wein. Umgekehrt geht es genauso doof: Auf Tipps wie „fruchtiger, nicht zu trockener Weißwein“ oder „gehaltvoller, dunkler Rotwein“ kann man jedenfalls ziemlich laut pfeifen.

Dabei ist das alles gar nicht so schwer, denn das Zusammenspiel von Wein und Speisen basiert in erster Linie auf ziemlich eindeutigen biologischen und chemischen Prozessen. Alles , aber auch wirklich alles, was weltweit als Nahrung zur Verfügung steht, lässt sich auf fünf Geschmacksrichtungen reduzieren: süß, sauer, bitter, salzig und umami. Gewürze sind lediglich geschmackliche Ornamente, die diese Elemente verstärken oder abschwächen können.  Bei Umami handelt es um eine Entdeckung des japanischen Forschers Kikunae Ikeda, der den Begriff, der grob übersetzt »fleischig und herzhaft« bedeutet, 1908 einführte. Als prototypisch für den umani-Geschmack gilt der Shiitakepilz. Wichtigster Träger ist die Glutaminsäure, die besonders reichlich auch in vollreifen Tomaten, Fleisch, fermentierten Sojaprodukten und Käse vorkommt. Aber auch Seetang und die meisten Fische enthalten Stoffe, die charakteristisch für umami sind.

Auch bei Wein lohnt sich für diese Zwecke ausnahmsweise ein recht grobes Raster. Man kann zwischen süße- und säurebetonten Weißen sowie frucht- oder tanninbetonten Roten unterscheiden. Dazu kommt noch der Ausbau im Holzfass, durch den Bitterstoffe hinzukommen. Auf dieser Basis kann dann das Puzzlespiel mit den Geschmackskomponenten beginnen. Dazu ein paar Grundregeln: Salzige Speisen brauchen Säure im Wein, stark salzige und bittere ein wenig Süße und möglichst wenig Tannine, süße Gerichte einen noch süßeren Wein, der aber auch merkliche Säure aufweisen sollte. Speisen bleiben beim gemeinsamen Genuß mit Wein weitgehend geschmacksstabil, der Eindruck vom Wein kann sich aber dramatisch verändern – zum Positiven wie zum Negativen. Ein typischer Flop ist die sture Befolgung der alten Regel »Rotwein zum Käse«. Ein gereifter, tanninbetonter Rotwein schmeckt beispielsweise zu einem kräftigen Schimmelpilzkäse unangenehm adstringierend und klebrig süß, weil sich die Bitternoten gegenseitig verstärken. Ähnliches erlebt man mit umami-geprägten und mit Salz- und Bitternoten versehenen asiatischen Gerichten. In beiden Fällen sind restsüße Weißweine mit merklicher Säure erste Wahl. Die würden wiederum bei – salzigen, aber nicht bitteren – Austern oder auch bei Spargel völlig einbrechen.

Probe auf’s Exempel gefällig? Man nehme ein paar (süße)Apfel- und Zitronenscheiben, reifen Schimmelkäse, ungewürztes Rinderfilet und ein Schälchen mit Salz.  Und trinke dazu jeweils ein Schlückchen staubtrockenen Riesling, im Barrique ausgebauten trockenen Chardonnay oder Grauburgunder, eine Beerenauslese, einen leichten jungen Rotwein (z.B. Gamay) und einen  Cabernet Sauvignon mit viel Holz. Ich garantiere eine sensorische Achterbahnfahrt zwischen grauenvoll und großartig. Und einen kleinen Glockenschlag im Kopf , als Startsignal für spannende Experimente für die Kombination von Wein und Speisen

Natürlich ist Geschmack mehr als nur Chemie. Es gibt – glücklicherweise – individuelle Vorlieben und unterschiedliche Wahrnehmungen. Dennoch kann man mit der Beachtung einiger Gesetzmäßigkeiten unnötige Geschmackskatastrophen vermeiden.

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