Ich war Urban

Viele Berliner mit außermitteleuropäischen sprachlichen Wurzeln haben ein sehr entspanntes Verhältnis zu Präpositionen. Und die auf 140 Zeichen beschränkten gängigen Kommunikationsformen SMS und Twitter haben den kompletten Verzicht auf Vor-, Verhältnis- und Lagewörter ebenso befördert, wie den auf komplette Ortsangaben. In Kreuzberg heißt es also nicht „Ich war im Urban-Krankenhaus“ sondern schlicht „Ich war Urban“.

Ich war am Wochenende tatsächlich Urban, um mir einen Leistenbruch fachgerecht operieren zu lassen.

Nun gibt es sicherlich angenehmere Orte für ein spätsommerliches Wochenende, doch ein Verbleib in Moabit wäre aufgrund des Turmstraßenfestes ohnehin obsolet gewesen, da es sich dabei um den Super-GAU Moabiter “Kultur” handelt. Auch ein Aufenthalt auf meinem Landsitz hätte angesichts meiner angeschlagenen körperlichen Verfassung  keinen Sinn gemacht.

Kein Ort für Gourmets. Aber wer das Urban-Krankenhaus nicht kennt, kennt Kreuzberg nicht.
Quelle:Wikipedia

Über das Urban-Krankenhaus kursieren allerlei Horrorstorys, die aber in erster Linie die Notaufnahme betreffen. Doch ich war ja ein „ordentlicher“ Patient mit regulärem Termin und kann mich nicht beklagen. Zwar ist der Stress, dem das Pflegepersonal durch chronische Unterbesetzung ausgesetzt ist, an jeder Ecke zu spüren, doch bis auf einen Transportpfleger, der offenbar kurz vor der Explosion stand, bemühten sich alle sichtlich um eine entspannte Atmosphäre. Das ist hilfreich wenn man weiß, dass man in Kürze mittels Vollnarkose temporär in Jenseits geschickt wird, damit ein Chirurg ungestört die Bauchdecke aufschneiden  kann.  Wenn man dann ein paar Stunden später wieder aufwacht und sogar ziemlich schnell realisiert, wer und wo man ist, hat man das Gefühl, das Gröbste überstanden zu haben. Zumal ich das Glück hatte, den Abend und die Nacht in einem Einzelzimmer verbringen zu dürfen, da mein „Mitbewohner“ mittags entlassen wurde.

Es gibt wenig Gründe, mehr Zeit als unbedingt nötig in derartigen Etablissements zu verbringen. Zwar bekommt man für zehn Euro pro Tag, die man als Kassenpatient zuzahlen muss, neben der Unterbringung auch Vollverpflegung geboten, doch diese ist sowohl unter kulinarischen, als auch unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten eher zweifelhaft. Allerlei Zerkochtes, Pampiges und schrecklich Paniertes wurde ebenso aufgetischt wie schlimme Wurst und unterirdischer Käse. Vom Kaffee ganz zu schweigen. Und so war ich hocherfreut, dass mir die diensthabende Chirurgin nach kurzer Inspektion bereits am folgenden Tag die Entlassung genehmigte.

Ohnehin bin ich froh, dass ich nicht am kommenden Wochenende „Urban war“.  Denn am 8.September veranstaltet die im Kiez verwachsene große Klinik eine Art Tag der offenen Tür, mit „Simulationen der Rettungskette bei Verkehrsunfällen“, „ Feuerwehreinsätzen bei Explosionen“ und ähnlichen, für kranke Menschen sicherlich sehr erbaulichen Vorführungen. Fast noch schlimmer: Für das „attraktive Rahmenprogramm“ werden u.a. „Spieler von Hertha BSC“, der Promi-Säufer Ben Becker und die Schlagersängerin Andrea Berg angedroht. Selbst bei einem schmerzhaften Leistenbruch wäre dies ein Grund, den Operationstermin noch ein paar Tage hinauszuzögern.

Jedenfalls hab ich es ganz gut überstanden, und meine linke Leiste ist jetzt hoffentlich dauerhaft  mittels eines implantierten Kunststoffgitters an misslichen Entwicklungen gehindert. Aber ein Mal Urban gehört wohl in jede Berliner Biografie.

2 Gedanken zu “Ich war Urban

  1. Der Urban-Hafen gehört doch inzwischen zu den top locations des Kreuzberger Nachtlebens, zumindest gemessen an der Zahl derer, die dort auf der Wiese die Nächte abchillen! Darf man denn doch davon ausgehen, dass diese Atmosphäre ein wenig zum Krankenhaus hinüber weht? Die Batterien von Rauchern in Rollstühlen vor dem Eingangsbereich, bei Tag und bei Nacht, deuten dies jedenfalls an … Ich war zum Glück lange nicht Urban, deshalb kann ich nur mutmaßen.
    Ansonsten – Gute Besserung!