Wer wissen will, wie man mit Junkfood gegen Gentrifizierung kämpfen kann, muss schon bis zum Ende lesen.
Mit dem stadtsoziologischen Modebegriff Gentrifizierung wird eine Entwicklung beschrieben, bei der die Aufwertung vormals maroder Stadtviertel über kurz oder lang zur Verdrängung der alteingesessenen, meist ärmeren Bewohner führt. Oftmals bilden Studenten, Künstler und „hippe“ Gastronomen die Vorhut, wenn sie sich auf der Suche nach bezahlbaren Quartieren und Arbeitsstätten in diesen Vierteln niederlassen. Es folgen die Rucksacktouristen, die von der „ursprünglichen Atmosphäre“ begeistert sind und für die Hostels und Ferienwohnungen wie Pilze aus dem Boden schießen. Auf den Zug springen dann noch mehr „hippe“ Gastronomen und (Bio)Einzelhändler auf, und dann kommen die Investoren und besorgen mit Luxusmodernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen den Rest.
Dieses Schicksal droht wohl auch Moabit. Bis zum Fall der Mauer war das alte Arbeiterviertel ein vergessener Kiez. Doch jetzt ist es beste Citylage, nur ein paar Katzensprünge vom Regierungsviertel, von der City-Ost und vom neuen Hauptbahnhof entfernt. Das einst triste und schmuddelige Spreeufer ist längst zu einer der schönsten innerstädtischen Flaniermagistralen geworden. Im östlichen Teil des Kiezes, also zwischen der Straße Alt-Moabit und dem Spreeufer, ist der Gentrifizierungsprozess schon weitgehend abgeschlossen. Und auch im Westen gibt es bedrohliche Vorboten, wie z.B. die gewaltig aufgemotzte, eventorientierte Markthalle und die explodierenden Mieten.
Der Berliner Senat und die ebenfalls SPD-CDU-geführte Bezirksverwaltung unterstützten diesen Prozess nach Kräften. Durch die Festlegung eines Sanierungsgebietes rund um die Turmstraße sollen Grünanlagen, Wohnumfeld und Einzelhandelsstruktur mit viel Geld aufgepeppt werden, um das Quartier für Investoren noch interessanter zu machen. Aber es gibt Beharrungskräfte, die man nicht unterschätzen sollte. Und dabei handelt es sich nicht um jene versprengten Aktivisten, die in Stadtteil- und Mieterinitiativen trotz frustrierender Resonanz unermüdlich gegen die Gentrifizierung kämpfen, sondern um eine Art piefige Alltagskultur, mit der man eigentlich nichts zu tun haben will.
So konnte man in den vergangenen Wochen mit gemischten Gefühlen beobachten, wie eine Filiale der Lebensmittelkette Kaiser’s in der Turmstraße aufwändig um- und ausgebaut wurde. Sollte aus dem verrumpelten, stets leicht schmuddelig wirkenden Supermarkt und Spätkauf etwa ein gehobener, schicker Konsumtempel für die „neuen Moabiter“ werden?
Bei der Wiedereröffnung am heutigen Dienstag standen die Zeichen dann auf Entwarnung. Natürlich sieht der Laden jetzt etwas frischer aus, aber das Angebot ist ähnlich unspektakulär bis dürftig wie zuvor. Es gibt z.B. keine Käsetheke, wenig Delikatessen, viel Convenience und Tiefkühlkost sowie ein furchtbares Weinsortiment. Auch die Straßenparty zur Wiedereröffnung roch nicht nach Gentrifizierung, sondern nach ziemlich ekliger Bratwurst, die für einen Euro in einem wenig appetitanregenden Brötchen angeboten wurde. Dazu alberne Luftballons, vollkommen verranzter Diskopop aus blechernen Boxen sowie Bier aus dem Plastebecher für 50 Cent. Und zwar Berliner Pilsener, also ein Getränk, das man eigentlich nur zu sich nehmen kann, wenn man bereits betrunken ist oder es ohne Rücksicht auf Verluste schnell werden will. Stilgerecht war neben der Wurstausgabe noch ein Ramsch-Tisch mit allerlei nicht besonders wert- und nachhaltigem Haushaltskrempel aufgebaut. „Weiter so“ möchte man rufen. Und es stellt sich die Frage, ob die beinharten Analysten im Management vom Kaiser’s zu dem beruhigenden Schluss gekommen sind, dass der Kiez noch für längere Zeit von einem derartigen Ambiente geprägt sein wird. Andere sehen das allerdings anders, wie die vor wenigen Monaten eröffnete große Filiale der „Bio Company“ an der nächsten Straßenecke demonstriert.
Doch auch an der Haustür dann ein Aushang, der ebenfalls Optimismus in Bezug auf einen eher schleppenden Verlauf der Gentrifizierung aufkeimen lässt.
„Das Moabiter Stadtschloss-Café lädt am (..) ab 14.30 Uhr zu Tanz und Unterhaltung in gepflegter Geselligkeit ein. Der Entertainer Alf Weiss –The Charming Voice singt internationale Schlager und verführt dabei jedes Publikum zum Tanzen und Mitsingen. Sein Repertoire mit Liedern von Roy Black bis Peter Maffay und Frank Sinatra bis Roger Whittaker erreicht die Schlager-Herzen. Eintritt € 2,-„
Ich werde nicht hingehen, aber ich wünsche den Veranstaltern, bei denen es sich immerhin um eine wichtigsten soziokulturellen Institutionen des Kiezes handelt, ein volles Haus und überhaupt mindestens so viel Erfolg wie auch der renovierten Kaiser’s-Filiale. Denn das würde bedeuten, dass die Hegemonie des schlechten Geschmacks auf allen Ebenen in Moabit ungebrochen ist. Und leider ist das sogar eine gute Nachricht, jedenfalls für nicht sonderlich vermögende Mieter. Man kann schließlich nicht alles haben – einigermaßen bezahlbarer Wohnraum hat halt seinen Preis.
Aber so langsam reicht es trotzdem für heute! Glücklicherweise braucht man mit dem Fahrrad von der Turmstraße bis zum Lafayette in der Friedrichstraße nur 20 Minuten. (Noch so ein Standortvorteil). Ein halbes Dutzend Austern, eine kleine Jakobsmuschelterrine und ein bisschen Foie gras de Canard sollten zusammen mit ein paar Gläsern passendem Wein und adäquater Musik als Erste-Hilfe-Maßnahmen gegen den Moabiter Kulturschock ausreichen. Irgendwie muss man sich schließlich wehren, und Genuss ist bekanntlich Notwehr. Außerdem gibt es was zu feiern, denn ich habe was gelernt: Schlechte Musik, schlechte Wurst und schlechtes Bier können eine nahezu subversive Dimension entwickeln.
Schlechte Musik, schlechte Wurst und schlechtes Bier? Auf die kleinen Freuden des Arbeiters nach Feierabend wird hochnäsig herabgeschaut. Da lobe ich mir die Zeiten, als in Moabit weder Filialen der Bio-Company noch selbsternannte Weinkritiker ihr Unwesen trieben. Stattdessen hielt die Ortsgruppe unserer SEW auf der Turmstraße die Fahne Arbeiterklasse hoch! So, aber jetzt muss ich in der Datsche das Laub fegen. Ordnung muss sein! Aber ich freue mich schon auf mein gepflegtes Bier heute Abend im Garten des Generalmajors!