One…Two…One.Two – und schon entfaltet sich ein satter, rockiger Klangteppich im ausverkauften Berliner Festspielhaus. Doch das wohlige Gefühl hält nicht lange an. Die „Stretch Music“ des Trompeters Christian Scott entpuppte sich recht bald als nicht sonderlich ambitionierter Gemischtwarenladen. Mal ein synkopierter Blues-Riff, dann ein bisschen cool und Modern-Jazzig, schließlich eine Prise Bebop, alles immer schön speedy, aber recht kalt. Die hoch gelobte „Stil-Ikone“ Scott beherrscht sein Instrument, ohne bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Fastfood auf hohem Niveau produziert auch seine Band, wenn man von dem furiosen Schlagzeugsolo von Cory Fonville absieht. Dazu ein in seiner Belanglosigkeit fast schon peinlicher Gastauftritt seiner singenden Ehefrau, ein zweifelhafter Sound (besonders der Bass) und ein quälend langer, langweiliger Blues als Zugabe – man hätte dem Jazzfest einen knackigeren Auftakt gewünscht.
Doch als anschließend Joachim Kühn den Auftritt seiner „Afrika-Connection“ mit einer knappen Piano-Figur und ein paar verminderten Ableitungen einleitet, ist die leichte Enttäuschung binnen Sekunden wie weggeblasen. Allmählich steigen seine Trio-Partner Majid Bekkas (Guembri) und Ramon Lopez (Drums) auf das ostinate Thema ein, bevor die vier für dieses Projekt eingeladenen Perkussionisten aus Marokko, Benin und dem Senegal mit zunächst minimalen Akzentverschiebungen Spannung erzeugen, die sich schließlich in polyrhythmischen Feuerwerken entlädt. Dieses Konzept prägt den gesamten Auftritt, der mit zunehmender Dauer ekstatische und magische Phasen bietet.
Dies gilt auch für die elegischen Momente, in denen Kühn seine harmonische Virtuosität ausspielt und in beseelte Dialoge mit dem erschreckend gebrechlichen, aber musikalisch immer noch kraftvollen Saxophonisten Pharoah Sanders eintritt. Man spürt, dass sich Kühn und sein Trio nicht „afrikanischer“ Rhythmen als Ornament bedienen wollen, sondern sich auf etwas eingelassen haben, das sich rein musikalischen Definitionen entzieht. Auch den Zuhörern wird diese Bereitschaft abverlangt, und es spür- und sichtbar, dass nicht alle diese Bereitschaft aufzubringen bereit sind. Für mich war es jedenfalls ein großer, bewegender Auftritt – der aufgrund der Überlänge des Openers leider nicht mehr in der Rundfunkübertragung zu hören war.
Sorgen muss man sich allerdings um die Tontechnik machen, die wie schon bei Christian Scott mehr Brei anrührte als klangliche Transparenz zu schaffen. Aber heute ist ein neuer Tag und somit eine neue Chance. Es wäre schade, wenn auch Michael Riesslers „Big Circle“ und das Quartett der Schlagzeug-Legende Jack DeJohnette akustisch weit unter Wert verkauft werden.
Wann das Kühn- Konzert gesendet wird, steht noch nicht fest. Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese extra für das Jazzfest gebildete Formation jemals wieder auftritt. Mehr als nur ein schwacher Trost sind da die beiden letzten CD’s von Kühn, Out of the Desert und Voodoo Sense (mit Pharoah Sanders). Reinhören (s.Links) lohnt sich