Es sollte der krönende Schlusspunkt des Berliner Jazzfestes werden, und für so ein Vorhaben ist John Scofield eine sichere Bank. Vor über 30 Jahren machte sich der Gitarrist auf den Weg, um die Jazzwelt mit rockig-funkigen Grooves, weit gespannten und manchmal rasend schnellen Melodiebögen und einem im Jazz bislang unbekannten, angezerrten Sound aufzumischen. Er begleitete Miles Davis auf dessen Weg in die Elektrifizierung, suchte anschließend immer wieder nach neuen Klangsprachen für die Gitarre im Jazz, wagte sich an Neue Musik und an zeitgenössische Interpretationen alter Standards. Und wenn eine dieser Schleifen beendet war, kehrte er stets dorthin zurück, wo alles anfing. Auch jetzt ist es wieder so weit, seine aktuelle Formation „Überjam“ bietet den puren Funk-Rock-Jazz-Stoff mit allen bekannten Zutaten.
Das klingt immer noch großartig, geht in die Beine, macht den Kopf frei. Doch diese Musik scheint mittlerweile an der Grenze ihrer Innovationsmöglichkeiten angelangt zu sein. Es fehlen die Überraschungsmomente: Kein ekstatischer Drum-Lick, keine furiose Bass-Stakkatolinie und kein gitarristischer Parforceritt durch die Skalenwelt, die man nicht genau so schon unzählige Male gehört hat. Bei aller Freude, die Scofield mit seinem Groove-Gewitter immer noch verbreiten kann, schleicht sich nach ein paar Stücken eine gewisse Langeweile ein.
Das kann man vom Eröffnungsact des Abends wohl kaum behaupten. Die Komponistin, Bandleaderin, Gitarristin und Sängerin Monika Roscher hat eines der wohl ungewöhnlichsten Konzepte des aktuellen Jazz realisiert. Relativ simpel gestrickte Indie-Pop-Rock-Songs werden mit ausgefeilten Big-Band Arrangements nicht einfach nur aufgefüllt, sondern energetisch geladen.
Die 29jährige beherrscht ihr Tonsatzhandwerk, ohne dabei verkopft zu wirken. Ihr Bigband-Bastelkasten ist prall gefüllt. Elektro-Pop-inspirierte, loopartige Cluster wechseln mit Zitaten von Eisler, Gershwin oder einer augenzwinkernden Hommage an frühe Jazzrocker wie Chicago, wobei sich Roscher – ohnehin eine großartige Performerin – natürlich auch nicht das schmetternde, mit Wah-Wah gespielte Gitarrensolo nehmen lässt. Was 2010 als Projekt für ihre Abschlussprüfung an der Münchener Musikhochschule begann, ist längst auf dem Weg, der Big-Band-Musik neue Horizonte zu erschließen.
Dies war auch eines der Anliegen des künstlerischen Festivalleiters Bert Noglik, wie auch die stärkere Präsenz deutscher Künstler. Beides hat er konsequent und überzeugend umgesetzt. Jedenfalls kann ich mich an kein Jazzfest erinnern, bei dem auf der großen Bühne an allen Tagen deutsche Musiker mit eigenen Projekten eine tragende Rolle spielten. Mit Joachim Kühn, Michael Riessler, Michael Wollny und Monika Roscher wurde dabei ein hervorragender Querschnitt der aktuellen Szene ausgewählt. Dennoch fehlte es nicht an internationaler Prominenz: Sei es altersweise und entspannt wie Jack DeJohnette und Don Byron, partyselig wummernd wie David Krakauer mit Abraham Inc. oder die Jazz-Rock-Groove-Ikone John Scofield. Richtig enttäuscht war ich lediglich vom Opener, dem nach meinem Dafürhalten weit überschätzten Trompeter und Bandleader Christian Scott. Und auch diese „großen“ Konzerte sind nur ein Ausschnitt des Festivals, doch ich muss gestehen, dass ich die Club-, Seitenbühnen- und Akademie-Events diesmal sträflich vernachlässigt habe.
Das Jazzfest 2013 ist zu Ende, und als Weinpublizist möchte ich von einem Spitzenjahrgang sprechen. Noglik hat eine ziemlich klare Handschrift, ein Gefühl für wichtige neue Strömungen und für den richtigen Festival-Mix. Und das hoffentlich noch für viele weitere Jahre.
Das „Jazzfest-Special“ auf diesem Blog ist jetzt auch zu Ende. Ein bisschen improvisierte Werbung hat offenbar für ansehnliche Klickzahlen ausgereicht. Wer Freude an manchmal etwas sperrigen Betrachtungen zu Politik, Kultur und Genuss als gesellschaftlichem Grundbedürfnis hat, ist herzlich eingeladen, den Blog weiterhin zu besuchen. Für alle anderen gilt: See you next year.