Vom Jazz zum Riesling

So langsam verklingt die Musik im Kopf. Vier Tage Jazzfest sind schon recht nachhaltig, jedenfalls dann, wenn es sich um ein ausgesprochen spannendes Programm handelte.

Der Alltag ist nicht schön. Körper und Seele müssen sich an die zunehmende Kälte und Nässe gewöhnen, auch die frühe Dunkelheit schlägt ein wenig auf’s Gemüt. Die stumpfen Berliner haben die Chance verstreichen lassen, dem Energiekonzern Vattenfall in einem Volksentscheid ein paar Fesseln anzulegen, der alltägliche Verdrängungsterror gegen Mieter, mit dem ich mich sowohl als Journalist, wie auch  in einer örtlichen Initiative beschäftige, geht ungebrochen weiter, die kommende große Koalition baut ein Luftschloss und wirft eine Nebelkerze nach der anderen.

Höchste Zeit, mal wieder was Anständiges zu essen und zu trinken. Aber wenn man bei einem Weinhändler eine Riesling-Auslese von 1989 sieht, sollte man meinen, dass sie entweder unbezahlbar ist, oder nichts taugt.

Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Das Lagerpotenzial der meisten Weißweine – von edelsüßen Spitzenerzeugnissen mal abgesehen – ist recht überschaubar. Aber für 12,50 Euro gönnte ich mir den Spaß und erwarb eine Flasche 1989er Burg-Layer Schlossberg Auslese vom Nahe-Weingut Michael Schäfer, zumal mir der Dealer anbot, den Preis im Falle grober Weinfehler zu erstatten.

Edelfäule(Botrytis) sieht nicht besonders schön aus, kann reifen Süßweinen aber den großen Kick geben.
© Tom Maack

Doch dazu wird es nicht kommen. Der Korken – ein großer Risikofaktor bei betagten Tropfen –  war in Ordnung, und bernsteinfarben ergoss sich der Wein ins Glas. In der Nase zunächst deutliche Alterungstöne, die aber bald von milden Honig- und Karamellnoten verdrängt wurden. Schwache Primärfrucht, wenig „weinig“ (kein Wunder bei dem Alter), aber am Gaumen dann reife, süße Honigmelone, Maracuja und Litschi. Satt süß (89 Gramm pro Liter), satte Botrytis  aber alles wunderbar eingebunden in erstaunlich prickelnde Säure mit einem Hauch von Limette und Zitronenschale. Und das alles ganz präsent sowie mit kopfverträglichen 8,5 Prozent Alkohol. Großes, altes Wein-Kino!  Sagt auch der Winzer: Schließlich solle eine Auslese kein modifizierter Traubensaft sein, sondern „richtiger Wein“.

 Ich hatte so was geahnt bzw. erhofft und mir daher beim örtlichen Bio-Käsedealer auf dem Ökomarkt an der Heilandskirche (der leider nur Mittwochs da ist) ein bisschen Ziegenkäse in je einer weichen (Munster), schimmligen und gereiften harten Variante besorgt. Und jetzt ging der Spaß erst richtig los! Das Salz und die gewisse Schärfe des Käses fanden in diesem edelsüßen botrytischen Riesling kongeniale Begleiter, wobei die milde, aber natürlich schmeckbare Alterungsnote des Weines den ganz besonderen Kick brachte.

 Natürlich ist so ein Wein bei keinem Internethändler mehr gelistet. Wer also eine ganz erstaunliche edelsüße alte Riesling-Auslese von einem richtig guten Nahe-Weingut zu einem noch erstaunlicheren Preis probieren will, wird sich wohl nach Berlin-Moabit aufmachen und den Weinhändler in der gentrifizierungsmäßig aufgepeppten Arminiusmarkthalle besuchen müssen. Am besten mittwochs, wenn um die Ecke besagter Käsestand da ist. Der Winzer hat auch nach einen Restbestand, dort kann man per E-Mail bestellen  (schaefer.wein@t-online.de) 

 Das alles spielt sich übrigens tatsächlich nicht in Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain ab, sondern in Moabit. Ein bisschen Aufwertung alter Kieze auch beim Angebot hochwertiger Nahrungs- und Genussmittel ist ja nichts Negatives. Dummer weise ist das unter den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen für die alten Bewohner nahezu zwangsläufig mit horrenden Mietsprüngen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und letztendlich Vertreibung aus dem Kiez verbunden. Doch gerade weil ich dagegen aktiv zu Felde ziehe, gönne ich mir „ohne Skrupel“ meinen guten Wein und meinen guten Käse – auch und gerade in Moabit.  Denn Genuss ist bekanntlich Notwehr.   

     

2 Gedanken zu “Vom Jazz zum Riesling

  1. Als stolzer Dealer genannter Verkäufer des oben so wunderschön beschriebenen Getränkes aus dem Unternehmen ‘Zunft[genuss] – Wein & andere gute Dinge’ in der altehrwürdigen und garnicht so doll gentrifizierten Arminius[markt]halle muss ich mich ja eigentlich tief verbeugt bedanken. Und mache dies einfach mal.

    Davon abgesehen (so viel dieser grandiosen Flaschen haben wir leider sowieso nicht mehr) spreche ich hiermit eine Einladung an den Autor zu einem Probeschlückchen mit adäquaten Weinen in Gesellschaft gentrifizierungsresistenter Hallenbesitzer für Ende November aus > Schau’ns doch noch einmal bei mir vorbei und wir kriegen einen Termin hin.