Am 9. November gibt es viel zu feiern. Zwar ist die Bundesrepublik knapp an der Peinlichkeit vorbeigeschrappt, das Datum zum offiziellen Nationalfeiertag zu erklären, an salbungsvollen Worten und peinlichen Veranstaltungen mangelt es aber dennoch nicht. Immerhin ist es der Jahrestag der endgültigen Kapitulation der SED und der DDR-Staatsführung. Mit der Öffnung der Mauer am 9.November 1989 war der missglückte Versuch, als Reaktion auf die Nazi-Barbarei einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden aufzubauen, endgültig gescheitert. Deutschland durfte nunmehr auch wieder Kriege führen und das deutsche Kapital konnte seine soziale Maske allmählich fallen lassen sowie seine ökonomische Vorherrschaft in Europa durchsetzen. Manche nennen das „Freiheit“.
Nicht gefeiert wird dagegen der 9.November 1938, als die NSDAP eine neue Phase des Terrors gegen Juden einleitete. Viele große und kleine Erben der Profiteure dieser Politik feiern das nicht, sondern genießen und schweigen.
Doch die Geschichte hat noch mehr zu bieten: Am 9. November 1923 marschierte Adolf Hitler zusammen mit General Erich Ludendorff und weiteren Anhängern zur Feldherrnhalle in München, um die erst vor vier Jahren, und zwar ebenfalls an einem 9. November, ausgerufene Republik durch eine Diktatur abzulösen. Damals scheiterte er noch, doch der Fortgang ist bekannt, s. 1938.
Dann hätten wir noch den 9.November 1848, als mit Robert Blum einer der Protagonisten der bürgerlichen Revolution erschossen wurde. Diese Bewegung hatte unter anderem die Befreiung der Bauern aus der Zinsknechtschaft und die soziale Sicherung der Lohnarbeiter auf dem Programm und scheiterte an der Übermacht der reaktionären Kräfte. Schade, denn ein Erfolg dieser Revolution hätte vermutlich dazu geführt, dass der 9.November in den Jahren 1923, 1938 und 1989 anders verlaufen wäre.
Es gibt auch noch Kollateralfeiern. Denn die Gourmet-Bibel Guide Michelin erhob weitere 39 deutsche Restaurants in den sternegekrönten Adelsstand. Insgesamt sind es jetzt 274. Die Republik sei „am Herd fantastisch aufgestellt“, war daraufhin allen Ernstes zu lesen. Und das in einem Land, wo bei Lebensmitteln mit großer Mehrheit „Geiz ist geil“ regiert, rekordverdächtige Mengen von Tiefkühlpizzen und Fertiggerichten vertilgt werden und nicht nur Schul- oder Krankenhaus-, sondern auch Gaststättenverköstigung nicht selten in der Grauzone zwischen Beleidigung und Körperverletzung angesiedelt ist.
Für mich gibt es heute jedenfalls nichts zu feiern. Immerhin werde ich mir die am 9.November 1727 uraufgeführte Kantate „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ (BWV 99) von Johann Sebastian Bach anhören. Außerdem ist November Muschelzeit, und so wird ein schöner Sud aus Weißwein, Schalotten und Knoblauch aufgekocht, um anschließend die Muscheln darüber zu dämpfen. Dazu gibt es einen angemessenen trockenen Riesling von der Mosel. Bleibt eigentlich nur die Frage, ob ich ein derartig leckeres Gericht in einem der 274 deutschen Sterne-Restaurants bekommen würde. Wohl eher nicht.