Bevor ich mich zu einer kleinen Lesereise nach Schwaben aufmache, muss ich natürlich noch mal durch die „schönste Straße Deutschlands“ flanieren, die direkt bei mir um die Ecke ist. Den Titel erhielt die Emdener Straße in Berlin-Moabit von einem obskuren „Netzwerk Nachbarschaft“, dass u.a. von einer Baumarktkette und der Zeitung „Schöner Wohnen“ getragen wird. Initiiert wurde dieser Unfug vom „Verein Moabit“, der sich „bürgerschaftliches Engagement“ auf die Fahnen geschrieben hat, aber auch schon mal als Drückerkolonne für die Werbeabteilung eines großen Stadtmagazins in Erscheinung trat.
Um den Titel zu erhalten, reichte es, wenigstens für den Tag der Preisverleihung Anfang November ein bisschen Müll von der Straße zu holen (der längst wieder da ist) und ein paar Baumscheiben zu bepflanzen (wovon kaum noch etwas zu sehen ist). Dann gibt es noch einen bemalten Stromverteilerkasten. Ansonsten wirkt die Straße genau so angeschmuddelt und verfallen wie zuvor. Potemkin lässt grüßen.
Die selbst für Berliner Verhältnisse sehr vielen Geringverdiener und Hartz-IV-Bezieher in diesem Kiez fühlen sich sicher geehrt von der Auszeichnung. Auch die Mieter, denen vielfach exorbitante Mietsteigerungen oder der Verlust der Wohnung durch Umwandlung in Eigentum drohen, werden begeistert sein. Wirklich freuen können sich allerdings die Betreiber von Ferienwohnungen in der Straße und die Immobilienhaie, die derzeit durch den Kiez marodieren. Ihnen liefert dieses absurde Narrenstück willkommene, kostenlose Werbung.
Gruppen wie der „Verein Moabit“ tummeln sich auch in den unzähligen Gremien der „Bürgerbeteiligung“ die es in derartigen Kiezen gibt. Moabit hat unter anderen „Stadtteilplena“, sowie von zufällig Anwesenden gewählte „Aktionsfondsjurys“, und „Quartiersräte“ zu bieten. Im Sanierungsgebiet rund um die Turmstraße kommt noch eine „Stadtteilvertretung“ samt „Beirat“ mit Bezirksamtsmitarbeitern dazu. Allen diesen Gremien ist offenbar in erster Linie die Funktion zugedacht, den im Zuge der Vertreibung der ärmeren Bevölkerungsteile nachrückenden Angehörigen der alten und neuen Mittelschichten ein paar Spielwiesen der Pseudo-Partizipation zuzuweisen. Thomas Wagner hat dieses Phänomen in seinem lesenswerten Buch „Die Mitmachfalle“ beschrieben.
Zweifellos engagieren sich in Kiezgremien auch aufrechte Menschen, die aktiv in Bildungs-, Kultur- und Sozialinstitutionen tätig sind, und in diesem Sinne etwas bewegen wollen. Hut ab vor deren Engagement! Und in der Stadtteilvertretung Turmstraße gibt es auch eine starke Fraktion einer Mieterinitiative – sehr zum Leidwesen der dort ebenfalls stark vertretenen SPD, die auf Kritik am Bezirksamt allergisch bis kindisch reagiert. Doch Kandidatenvorstellungen, wie jüngst bei den Wahlen zum „Quartiersrat Moabit-West“, bieten überwiegend ein Panoptikum von Wichtigtuern, Schwätzern und vor allem Menschen, denen eine der sozialen Kernfragen des Kiezes, die mit der Aufwertung verbundene Verdrängung ärmerer Menschen, vollkommen schnurz ist. Etliche von ihnen tummeln sich schon seit Jahren in den Gremien der simulierten Bürgerbeteiligung, mitunter auch in mehreren gleichzeitig.
Recht ermüdend die albernen und verlogenen Lobeshymnen auf Moabit. Alles sei „so schön bunt“ hier, so „tolerant“, so „multikulturell“ und habe so ein „tolles, interkulturelles Flair“. Man selber wolle „mit vielen tollen Projekten den Kiez verschönern“, oder (ausländischen??) Jugendlichen einen „verantwortungsvolleren Umgang mit Müll“ beibringen. Natürlich darf bei solchen Wahlevents auch ein Vertreter einer religiösen Sekte nicht fehlen, der Moabit „total spannend und lebendig“ findet und außerdem beteuert, „auch die Sprache der Unternehmer zu sprechen“, die man für Projekte gewinnen will. Ein anderer kann das mit der Vertreibung durch hohe Mieten überhaupt nicht verstehen: Er zahle zehn Euro pro Quadratmeter und fände das „vollkommen normal heutzutage“. Schließlich könnten sich das ja „auch viele leisten“. Und der besagte Verein Moabit will dann im nächsten Jahr die benachbarte Waldstraße zur „schönsten Straße Deutschlands“ küren lassen, war zu vernehmen.
Natürlich ist das alles vollkommen gaga. Aber leider muss man sich mit diesem Quatsch beschäftigen und manchmal auch dazwischen funken, wenn man ein bisschen Widerstand in diesem Kiez befördern will.
Genuss ist Notwehr. Und daher fahre ich jetzt in vermutlich recht ansehnliche schwäbische Weindörfer, lese aus meinen Büchern, bekomme hoffentlich gutes Essen und guten Wein. Das wäre eine gute Grundlage für Montag, denn dann ist schon wieder Sitzung der Stadtteilvertretung.
Als mir ein Bekannter von diesem Artikel erzählte, da wollte und konnte ich das nicht glauben und nahm an, dass er mich verarschen möchte oder eine andere Straße gemeint sei – erst als er mir am nächsten Tag den Ausschnitt zeigte – da konnte ich ihm das glauben und habe mir dann die “Superstraße” angeschaut.
ich konnte jedoch keinen Unterschied von der Emdener zu der Waldstr. sehen!
Also doch “reine Verarschung”, man müsste einen Gegenartikel schreiben, über
MOABIT – bald ein zweites “LAS VEGAS”, aber ich bin sicher, das es alleine in der Beussel mehr Spielcasinos gibt als in Las Vegas! Hatte mal gezählt, bin an die 15 gekommen (vor 2 Jahren!)
wünsche eine gute Reise in den Süden und eine genussreiche Zeit!
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