Rock `n’ roll in der Kehrwoche

Ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Auch in schwäbischen Provinzstädten wie Bönnigheim sieht man manchmal Papierschnipsel auf der Straße. Und einer der überregional bekanntesten Bürger des Ortes ist ein fusselbärtiger Freak mit Dreadlocks und Cargohosen. Das beruhigt, wenn man als Berliner angereist ist, um seine in zwei Büchern niedergeschriebene Thesen und Geschichten über Verbraucherverdummung,  absurdes Weingeschwätz und Genusskultur vorzulesen, und die Schwaben dabei keineswegs zu schonen. Denn auch hier gibt es jede Menge ungenießbaren Wein (vor allem Trollinger) und dümmlich-peinliches Marketinggefasel.

Bei besagtem Freak handelt es sich um Christian Dautel, der seit einigen Jahren die Kommandobrücke des elterlichen Weinguts geentert hat, welches unumstritten zu den besten Erzeugern in Württemberg und darüber hinaus in ganz Deutschland gehört. Und wenn man dann mit einem umwerfenden Weißburgunder voller Saft und Kraft, feiner Mineralität und ganz leicht rauchigen und salzigen Noten begrüßt wird, mag man eigentlich gar nicht lesen, sondern würde sich am liebsten mit ein bis zwei Flaschen in eine stille Ecke in Dautels Weinkeller zurückziehen.

Ich wurde gewarnt, dass sich unter den rund 60 zahlenden Gästen ca 80 Prozent CDU-Wähler befänden. Na und? Volle Offensive ist stets die Losung, schließlich habe ich es auch überstanden, bei einer Lesung in Salzburg den Stadtheiligen Mozart als den am meisten überschätzten Komponisten der Musikgeschichte zu bezeichnen. Und in Punkto Genusskultur findet man gerade in vermeintlich linken Kreisen häufig ein erschütterndes Maß an Piefigkeit.

Ernst und Christian Dautel hatten bei der Lesung auch was zu lachen
©Frank Paul KIstner

Es wurde jedenfalls eine beschwingte, manchmal fast schon rockige Lesung, und so manch Bönnigheimer CDU-Wähler befindet sich jetzt im Besitz des „Demokratischen Weinbuchs“ und/oder des „Kulinarischen Notfallkoffers“.  

Als vollkommen richtig erwies sich auch, dass ich besagten Koffer, der ja nicht nur virtuell existiert, bei dieser Reise ausschließlich mit Büchern gefüllt hatte. In Berlin oder in Gegenden wie Ostbrandenburg brauche ich ihn ja eher, um angesichts drohender kulinarischer Scheußlichkeiten Nahrungs- und Genussmittel mitzuführen. Aber nach der Lesung begann der gemütliche Teil: Feinste schwäbische Kalbskutteln und eine sozusagen hausgeschossene Wildschweinterrine bildeten die Grundlage für eine spannende Reise durch das Dautel’sche Rotweinarsenal. Dazu gehört nicht nur eine beeindruckende Lemberger-Kollektion vom Gutswein bis zum – noch etwas unzugänglichen – großen Gewächs, sondern auch ein von mir zunächst misstrauisch beäugter Merlot, der sich als pflaumenwürzig – weiches Prunkstück mit langem, sahnigen Nachhall entpuppte. Nicht zu vergessen der herrlich mineralische Zweigelt mit feiner Holunderfrucht und edelbitteren Noten.

Natürlich ist ein derartiges Gelage nicht der Ort für eine „seriöse“ Verkostung, und daher werde ich Einiges in Ruhe nachtrinken und dann etwas genauer beschreiben. Eins ist jedenfalls schon jetzt klar: Man findet wenig Winzer, die beim Ausbau ihrer Weine so gekonnt und angemessen mit alten und neuen Holzfässern operieren. Und mit der  mineralischen Ausprägung  der Lemberger ( Blaufränkisch aus der DAC Eisenstadt im Burgenland lässt grüßen ) zeigt Dautel vielen schwäbischen Kollegen, wo der Lemberger-Hammer hängt.

Jedenfalls war es sehr schön in Kehrwochen-County. Und ich hoffe, dass ich noch weitere Gelegenheiten erhalte, schwäbischen CDU-Wählern (und natürlich auch anderen) was über Genusskultur zu erzählen

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.