Darf man ungarischen Wein trinken?

Als einigermaßen bekannter Weinpublizist bekommt man nicht nur jede Menge Probeflaschen, sondern auch diverse Einladungen zu Verkostungen. Mal sind es einzelne Winzer oder bestimmte Weinregionen bzw. deren PR-Agenturen, mal sind es Weinhandlungen und Importeure,  die für ihre Produkte um mediale Aufmerksamkeit buhlen.

Vieles davon interessiert mich gar nicht oder nur mäßig, wie z.B. Überseeweine oder Champagner. Gerne habe ich allerdings eine Einladung der ungarischen Botschaft zu einer Fachverkostung mit rund 20 Winzern und einem anschließenden Empfang angenommen. Auch Ungarn gehört zu jenen erst allmählich erwachenden Riesen der Weinkultur, die auf einer wahren Schatzkiste autochthoner Rebsorten sitzen und in manchen Regionen über hervorragende geologische und klimatische Bedingungen verfügen und dementsprechend eigenständige und unverwechselbare Weine erzeugen können.

 Aber Ungarn? Immerhin ein Land, in dem eine ultranationalistisch-autoritäre Regierung systematisch demokratische Grundrechte aushebelt und offen faschistische Politiker eine bedeutende Rolle spielen. Wo es in Medien und Kultureinrichtungen regelrechte Säuberungsaktionen gibt. Wo Antisemitismus längst zum Mainstream gehört, bis hin zur Forderung nach  der Registrierung von Juden. Wo Sinti und Roma faktisch Freiwild sind. Und das alles mit breiter Unterstützung der Bevölkerung, wie die Wahlergebnisse zeigen.

Das alles spricht gegen diesen Staat – aber nicht gegen die dortigen Winzer und die von ihnen  produzierten Weine. Denn die sind nicht demokratisch oder faschistisch, sondern gut oder schlecht.

Seit meiner Jugend wurde ich mit allerlei Boykottaufrufen gegen Weine und andere Produkte aus bestimmten Ländern konfrontiert. In der Regel wurden zur Begründung Kriege, staatliche Unterdrückung oder Umweltsauereien angeführt.  Obwohl ich den Anliegen der Boykottaktivisten stets ein gewisses Verständnis entgegenbrachte, mochte mir der Zusammenhang zu den jeweiligen Lebensmittel- und Weinproduzenten noch nie so recht einleuchten. Als z.B. die französische Regierung 1995 auf die beknackte Idee kam, auf dem Südsee-Atoll Mururoa ein paar Atombombentests durchzuführen, wurde in der links-alternativen Szene zum Lebensmittel- und Weinboykott aufgerufen. Schlagartig wurden in Kreuzberger Restaurants und Schöneberger Öko-Läden  französische Weine aus dem Angebot verbannt und vorzugsweise durch italienische Produkte ersetzt, denn Silvio Berlusconi war damals erst ein weitgehend unbekannter Klein-Mafioso. Ich trank weiterhin französische Weine und aß auch weiterhin französischen Käse, denn  mir konnte niemand erklären, was die französischen Winzer und Affineure mit der Sauerei in der Südsee zu tun haben.

Vor allem stellt sich die Frage, wo die Grenzen liegen, denn Boykottanlässe gäbe es genug. Wie wäre es mit den USA, deren Geheimdienste uns flächendeckend ausspionieren und deren Drohnen mordend durch die Welt geschickt werden? Dann natürlich auch keinen britischen Stilton-Käse mehr.  Oder darf man angesichts der desaströsen Umweltpolitik dieses Landes noch polnische Knoblauchwürste kaufen? Haben  die griechischen Oliven- und Käseproduzenten, deren Produkte hier vertrieben werden, vielleicht jahrzehntelang Steuern hinterzogen? Und müsste man sich angesichts der  katastrophalen Sozial- und Bildungspolitik nicht auch mal Gedanken über einen Boykott deutscher Waren machen?

Ich werde gelegentlich auch weiterhin ungarische Weine trinken: Z.B. blumig-fruchtigen Furmint oder mineralisch-beerigen Kékfrankos. Auch die Entenstopfleber und einige Salami-Spezialitäten haben es mir angetan. Ich gebe allerdings gerne zu, dass das mit der  Botschaft grenzwertig war, zumal der Botschafter in seiner Begrüßungsrede die „Herzlichkeit und Gastfreundschaft“ des Landes beschwor und – nur mäßig verklausuliert – die deutschen Medien für ihre negative Berichterstattung kritisierte. Ungarn und seine politisch-gesellschaftliche Verfassung sind derzeit ein bräunlicher Schandfleck in der EU. Dafür sollte man sich nicht zur Staffage machen. Die Weine kann man dennoch trinken – wenn sie gut sind.         

2 Gedanken zu “Darf man ungarischen Wein trinken?

  1. “Aber Ungarn? Immerhin ein Land, in dem eine ultranationalistisch-autoritäre Regierung systematisch demokratische Grundrechte aushebelt und offen faschistische Politiker eine bedeutende Rolle spielen. Wo es in Medien und Kultureinrichtungen regelrechte Säuberungsaktionen gibt. Wo Antisemitismus längst zum Mainstream gehört, bis hin zur Forderung nach der Registrierung von Juden. Wo Sinti und Roma faktisch Freiwild sind. Und das alles mit breiter Unterstützung der Bevölkerung, wie die Wahlergebnisse zeigen.”

    Ich habe selten so einen konzentrierten Unsinn gelesen. Die Politik der ungarischen rechtskonservativen Regierung mag umstritten sein. Aber dass Grundrechte eingeschränkt würden, sollten Sie bei so einer drastischen Rhese schon mal anhand eines Beispiels dokumentieren. Die empörende Forderung, Juden zu registrieren, kam übrigens von der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik und wurde auch von der Regierung scharf kritisiert. Und dass “Sinti und Roma” Freiwild wären, galt bestenfalls in den Jahren 2008-2009, als eine rechtsradikale Todesschwadron Morde auf die Roma verübte. Sinti, mein lieber Weinkenner, gibt es in Ungarn übrigens faktisch nicht. Ebenso wenig eine Mehrheit, die der Jagd auf Roma zustimmen würde. Das zu behaupten, ist schon ein starkes Stück.
    Ich empfehle Ihnen, vor dem nächsten politisch korrekten Statement ein wenig nüchterne Meinungsbildung. Sie werden noch immer genug Kritikwürdiges, etwa den Umgang der Regierungsmehrheit mit dem Verfassungsgericht, finden. Aber bleiben Sie auf dem Boden. Eine Rundreise am Plattensee empfehle ich Ihnen genauso wie den Besuch von Villány. Dort arbeiten hervorragende Winzer. Und sie sind nicht alle böse Rassisten…

    • Wo soll ich anfangen: Mit dem Mediengesetz, welches die öffentlich-rechtlichen Anstalten faktisch gleichschaltet? Mit der Berufung eines bekennenden Faschisten zum Theaterdirektor in Budapest? Mit der Sperrung der Wasserversorgung in einem Roma-Lager? Mit der Einschränkung der Rechte der Justiz? Mit den geduldeten Aufmärschen der Faschisten?

      Außerdem wende ich mich –anders als von Ihnen intendiert. Explizit dagegen, für diese Zustände einzelne Winzer in Haftung zu nehmen und werde auch persönlich weiterhin ungarischen Wein trinken.