Eines muss man den einheimischen Linksradikalen ja lassen. Sie stehen zwar politisch in der Defensive, doch bei der semantischen Dekonstruktion der deutschen Sprache haben sie beachtliche Erfolge errungen. Außerhalb der „bürgerlichen“ Publizistik traut sich kaum noch jemand, auf das eingeschobene „I“ zu verzichten, um Geschlechterneutralität zu demonstrieren. Und das war erst der Anfang, denn richtig korrektes Genderbewusstsein drückt sich mittlerweile im eingeschobenen Unterstrich aus, um die Vielfalt der geschlechtlichen Identitäten auszudrücken. Da machen auch hoch bezahlte Wissenschaftler mit, wie z.B. vom „Kompetenzzentrum Gender & Diversity“ der technischen Hochschule Nürnberg. „Wir begrüßen diese gender-wissenschaftliche Weiterentwicklung in der Sprachdebatte und werden uns vorerst nach Möglichkeit an dieser oder an ‚neutralen‘ Formulierungen orientieren“ heißt es dazu in einer Erklärung der Wissenschaftler.
Auf dem Vormarsch sind die korrekten Linken auch in Ernährungsfragen. So wurde unlängst auf dem Anmeldebogen für eine mehrtägige Konferenz zum „NaO-Prozess“ (Neue antikapitalistische Organisation) gefragt, ob die Teilnehmer “vegan, vegetarisch oder karnivor” verköstigt werden wollen.
Als Karnivore (Fleischfresser) bezeichnet man Tiere, Pflanzen und Pilze, die sich hauptsächlich oder ausschließlich von tierischem Gewebe ernähren. Das wirft natürlich einige Fragen auf:
1.) Erwarten die Veranstalter, dass an ihrer Konferenz auch Tiere, Pflanzen und Pilze teilnehmen?
2.) Sind Menschen, die sich überwiegend von Fleisch ernähren (was selbst bei härtesten Schnitzelvertilgern in Bezug auf die Gesamtmenge der aufgenommenen Nährstoffe äußerst selten sein dürfte) in Wirklichkeit Tiere?
3.) Warum nennt man Vegetarier dann nicht Herbivoren (Pflanzenfresser)?
Immerhin: Einer der bekanntesten Führer des Berliner NaO-Prozesses ernährt sich zwar grauenhaft, aber undogmatisch, wie ein Foto von seinem Eisfach beweist. Und auch ich sehe das ganz locker. So gab es neulich voll vegane Tagliatelle Bolognese mit Sojagranulat. Am nächsten Tag gönnte ich mir allerdings ein wenig Ziegenkäsepaste, was aber noch als lacto-vegetarisch durchgeht. Doch manchmal kommt dann das Tier in mir durch; so plane ich, den nächsten Wirsingeintopf mit ein bisschen Lammfleisch zu veredeln.
Ich hätte da auch einen Vorschlag für die NaO-Genossen: Wie wär`s, wenn ihr einfach anständig und mit frischen regionalen und saisonalen Zutaten kocht, z.B. einen Eintopf, der sowohl mit, als auch ohne Fleisch genießbar ist. Gerne auch einen Nachtisch auf Soja- oder Reismilch-Basis. Dann könntest ihr euch den gesamten absurden Sprachzirkus mit „veganer/vegetarischer/karnivorer Verpflegung“ sparen. Was dem „NaO-Prozess“ gewiss nicht schaden würde.