Zwischen Schwachköpfen und Spitzenwinzern

 Zu meinen Ritualen gehört die morgendliche Radiostunde Inforadio des rbb. Außer Sonntags natürlich, denn dann höre ich bei Bereitung und Verzehr des ersten Milchkaffees und des obligatorischen frisch gepressten Saftes eine dem Kirchenkalender entsprechende Kantate von Johann Sebastian Bach. Am kommenden Sonntag kann ich wählen zwischen „Mein liebster Jesu ist verloren“ (BWV 154), „Meinen Jesum lass ich nicht“ (BWV 124) oder „Liebster Jesu, mein Verlangen“ (BWV 32). Harter Stoff für einen bekennenden Agnostiker wie mich, aber unglaublich schöne Musik.

 Aber das nur nur nebenbei, denn in der Regel geht es am Morgen um eine anständige Dosis Nachrichten. Manchmal würde ich allerdings am liebsten das Radio aus dem Fenster werfen, obwohl es absolut unschuldig ist. Z.B. wenn irgendein Journalistenkollege wie am heutigen Mittwoch rumlallt, dass der deutsche Staat „trotz sprudelnder Steuereinnahmen wieder mal nicht mit seinem Geld auskommt“ und „wenig investiert aber viel auf Pump konsumiert“.

 

Der Mann ist als Wirtschaftsredakteur oder -korrespondent beim rbb vermutlich finanziell recht gut gepolstert, dafür scheint es aber an ausreichender Sauerstoffversorgung des Hirns zu mangeln. Dennoch will ich es versuchen. Also, Du Knalltüte:

1.) Der Staat nimmt nicht zu viel, sondern zu wenig Steuern ein, da er Spitzeneinkommen und Vermögen nicht oder nicht angemessen besteuert. Das führt unter anderem dazu, dass im stinkreichen Deutschland Kinderarmut schon jetzt und Altersarmut sehr bald Riesenprobleme sind bzw. sein werden.

2.) Der Staat „konsumiert“ nicht, sondern finanziert u.a. solche schnöden Dinge wie Kindergärten, Schulen und Justiz. Dass man sich die Ausgabenstruktur vollkommen anders vorstellen könnte, steht dabei auf einem anderen Blatt.

3.) Der böse, verschwenderische Staat sorgt u.a. auch dafür, dass bei allen Bürgern für Flitzpiepen wie Dich Kohle eingetrieben wird, damit ihr fürstliche Honorare oder Gehälter für den Dünnpfiff bekommt, den ihr durch den Äther oder durchs Kabel jagt.

Jetzt ist aber Schluss mit Ärgern. Schließlich habe ich neulich einen spannenden fränkischen Winzer kennengelernt. Dass Michael Fröhlich tolle „Große Gewächse“ produziert, sollte sich mittlerweile rumgesprochen haben. Schließlich verfügt das Mitglied des noblen Verbandes Deutscher Prädikatsweinwinzer (VDP) über einige großartige Parzellen in der Top-Lage Escherndorfer Lump. Doch als Rächer der materiell marginalisierten Weintrinkermassen interessieren mich gerade bei VDP-Gütern die Guts-, Orts- und Lagenweine, also jene Erzeugnisse, die man sich auch ohne Redakteursgehälter oder große Erbschaften leisten kann – und die dennoch den Anspruch der Speerspitze des deutschen Qualitätsweinanbaus überzeugend repräsentieren sollten – was leider oft genug nicht der Fall ist. Ohnehin machen die als „Große Gewächse“ oder „Erste Lage“ klassifizierten Weine in der Regel nur einen Bruchteil der Gesamtproduktion aus, bei Fröhlich sind es fünf Prozent.

Beim Ausbau seiner Weine verfolgt Fröhlich eine knallharte Linie. In seinem Gut gebe es kein einziges Holzfass, betont er auf Nachfrage. Ihm sei durchaus bewusst, dass dies nicht dem aktuellen Trend entspreche, aber das sei ihm egal, und mit der von vielen Weingütern als Marketinginstrument genutzten „Kellerromantik” habe er auch nichts am Hut. Ohnehin weist die von Muschelkalk geprägte Lage Escherndorfer Lump eine klare Charakteristik auf. Besonders Silvaner von dort wirken oftmals ausgesprochen rauchig. Fröhlich weiß zu berichten, dass viele Kunden gar nicht glauben wollen, dass diese Weine keinerlei Kontakt mit Holz hatten.

Der Eschendorfer Lump – Heimat großer, manchmal leicht rauchiger Silvaner

Die drei Flaschen aus dem Jahrgang 2012, die ich mir ausgeguckt habe, sind zunächst einmal der Horror eines jeden Logistikers. Bocksbeutel lassen sich einfach nicht vernünftig stapeln und packen, und auch das heimische Weinregal verweigert sich der ordnungsgemäßen Lagerung. Was soll’s: Schließlich würde irgendwie auch was fehlen,, wenn die sturen Franken den Bocksbeutel als Alleinstellungsmerkmal aufgeben würden, denn wer will schon einen knarzigen Frankenwein aus einer Schlegel- oder Bordeaux- Flasche trinken.

Die beiden Gutsweine bestechen durch ihre Reintönigkeit und Gradlinigkeit. Der trockene Müller-Thurgau bietet ein wenig Steinfrucht und zarte Muskatnoten. Ein allürenfreier, grundehrlicher Zechwein. Wesentlich filigraner dann bereits der Muskateller Kabinett, dem seine 12 Gramm Restsüße sehr gut zu Gesicht stehen, da sie mit einer quirligen Säure austariert werden. Feiner Duft von Holunder und Melone in der Nase, gefolgt von etwas süßem Apfel und Aprikose am Gaumen. Über allem steht natürlich das prägende Muskataroma. Die dezenten 12 Prozent Alkohol sind für diesen Tropfen die exakt richtige Motorisierung.

Eine Verkostung von Frankenweinen ohne Silvaner wäre ziemlich absurd. Und der trockene Kabinett vom Escherndorfer Lump ist genau so, wie man sich einen gelungenen Silvaner vorstellt: würzig, erdig und mit kräftiger Säure. Etwas verstörend zunächst der pralle Duft, der unangenehm als das alte Hippie-Parfüm Patchouli erinnert. Doch das mündet schnell in eine angenehm rauchige Note, die aber keineswegs dominant wirkt.

Die kleine Gutswein-Sause bei Michael Fröhlich hat sich jedenfalls gelohnt. Natürlich macht das auch Lust auf seine großen Gewächse. Doch das ist eine andere Geschichte

Die Weine von Michael Fröhlich gibt es bei VICAMPO. Der Müller-Thurgau und der Muskateller Kabinett kosten jeweils 6,50 Euro, der Escherndorfer Lump Silvaner Kabinett trocken 7,50 Euro

 

 

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