….hat viele Gesichter. Die Möglichkeiten, sich gegen explodierende Mieten und Stromkosten oder die neuen Eintrittspreise der Berliner Schwimmbäder (5,50 Euro für einen Besuch) zu wehren, sind relativ beschränkt. Bei Genussmitteln wie Wein sieht das etwas anders aus. Zwar macht man sich in der Weinszene nicht sonderlich beliebt, wenn man besonders dreiste preisliche Auswüchse unter Nennung von Ross und Reiter geißelt, aber das sollte einem egal sein. Wer Weine kauft, die mehr als 20 Euro kosten, kann ohnehin davon ausgehen, dass sich der Preis komplett von einem ökonomisch irgendwie nachvollziehbaren Preis-Leistungsverhältnis abgekoppelt hat (von wenigen Ausnahmen abgesehen). Doch auch in der Kategorie von 10-20 Euro sind oftmals Blenderei und geballte PR-Macht die preisbildenden Faktoren und nicht die Produktionskosten oder gar die Qualität.
Stuart Pigott, einer der renommiertesten Weinpublizisten, kultiviert seit einiger Zeit eine recht simple, aber effektive Methode zur Beurteilung der Preiswürdigkeit von Weinen. In seiner in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheinenden Wein-Kolumne „Faktor 5“, werden Weine einer bestimmten geschmacklichen Kategorie von zwei Experten und einem weininteressierten Laien blind verkostet. Diesmal waren es 12 schwere Rotweine, die im Handel zwischen 7,95 und 79,70 Euro kosten. Die Jury vergibt dabei nicht wie allgemein üblich Punkte, sondern ermittelt jeweils den Preis, den man bereit wäre, für den jeweiligen Wein zu bezahlen. Daraus ergibt sich das „Genuss-Preis-Verhältnis“ (GPV). Dieses läge beispielsweise bei einem Wein, der 60 Euro kostet und auf 30 Euro taxiert wird, bei 50 Prozent.
Die Ergebnisse waren drastisch, was jemanden, der sich mit Wein beschäftigt allerdings kaum verwundern kann. Ein „Barolo Bussia 2006“ zum Beispiel wäre den Juroren im Schnitt nur 16 Euro wert gewesen, verlangt werden dagegen 49 Euro. Das ergibt ein unterirdisches GPV von 32,5 Prozent. Sicherlich nicht ungewöhnlich, denn Barolo gehört zu jenen altehrwürdigen Weinmarken, mit denen seit vielen Jahren margenträchtiger Schindluder getrieben wird. Vergleichbaren Irrsinn kann man auch mit Weinen aus dem Burgund oder dem Napa Valley erleben, um nur einige Beispiele zu nennen.
Noch drastischer der Ausreißer in die andere Richtung. Ein für 7,95 Euro angebotener 2011er Valpolicella Superiore DOC wäre der Jury satte 39,60 Euro wert gewesen, was ein sagenhaftes GPV von 499 Prozent ergibt. Und nur bei zwei der 12 Weine lagen der verlangte und der „geschmeckte“ Preis nah beieinander.
Die „GPV-Methode“ lässt sich auch in privatem Rahmen praktizieren. Dazu müssen es nicht superteure Edeltropfen sein. Bei deutschem Riesling mit einer Preisspanne zwischen sieben und 25 Euro oder Lemberger/Blaufränkisch zwischen zehn und 30 Euro würde man bei einer Blindverkostung ähnliche Erfahrungen machen. Und die Erkenntnis, dass man auch für vergleichsweise wenig Geld ausgezeichnete Weine bekommen kann, hat nicht nicht nur einen hohen GPV- sondern auch einen großen Spaßfaktor.
Wie anfangs erwähnt: Bei Mieten, Strom und Schwimmbädern funktioniert das so nicht. Da hilft nur politisches Engagement, z.B. in örtlichen Mieterinitiativen, um Miethaien und Spekulanten das Leben so schwer wie möglich machen. Vielleicht sollte man auch gleich den Kapitalismus abschaffen, aber das ist bekanntlich nicht so einfach.