Der Kapitalismus lebt bekanntlich unter anderem von dem Mythos, dass es jeder mit dem entsprechenden Fleiß zu einem gewissen Wohlstand bringen kann. Besonders fleißig scheinen in Deutschland die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung zu sein. Deren Anteil an allen Vermögenswerten hat sich zwischen 1998 und 2008 von 45 auf 53 Prozent erhöht. Besonders faul waren in diesem Zeitraum dagegen die unteren 50 Prozent. Denn deren Anteil am Vermögen sank von vier auf ein Prozent.
Unglaublich faul ist offenbar auch der Staat. Im Armuts- und Reichstumsbericht der Bundesregierung heißt es dazu: „Während das Nettovermögen des deutschen Staates zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um über 800 Milliarden zurückging, hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4600 auf rund 10.000 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.”
Ich spare mir jetzt eine genauere Analyse dieser Wertexplosion. Nur so viel: Mit der viel gerühmten „ehrlichen Arbeit“ hat sie eher wenig zu tun, eine wesentliche Rolle spielen stattdessen Erbschaften, Zins- und Spekulationsgewinne.
Wir werden also offensichtlich beklaut und zwar ganz legal. Das wissen auch die so genannten Mittelschichten, die vermögensmäßig weder zu den oberen zehn noch zu den unteren 50 Prozent gehören. Entsprechend viel Angst haben sie, dass ihr bescheidener Wohlstand auch noch umverteilt wird. Tendenziell verbünden sie sich aber mit den Reichen und deren politischen Statthaltern, um den Armen noch mehr wegzunehmen. Die wiederum sind politisch weitgehend marginalisiert. Deswegen knallt es hier auch nicht, was äußerst schade ist.
Meine Aufforderung zum umfassenden Genuss ist auch ein Aufruf zum Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse. Zugang zu gutem Wein, gutem Essen, guter Musik, Bildung, Naturerlebnissen u.v.a.m. könnt IHR euch einfach kaufen. WIR müssen uns das alles mühsam aneignen und erkämpfen. IHR habt was zu verlieren, WIR haben was zu gewinnen. IHR schnöselt über Sterne-Restaurants, Grand-Cru-Weine und Spitzenhotels, WIR müssen uns viel Wissen darüber aneignen, was gut und dennoch bezahlbar ist und lernen dabei Dinge kennen, die völlig außerhalb eures Kosmos liegen . Auch das kann ein Quell von Lebensfreude sein. Und die brauchen WIR, um diese Raubtiergesellschaft einigermaßen aufrecht ertragen zu können und vielleicht die Kraft zu entwickeln, um EUCH in die Schranken zu weisen.
Es sind kleine Schritte. Ich hab mir heute jedenfalls erstmals selbstgepflückte Brandenburger Streuobstäpfel eingekocht. Ist doch schon mal was.