Heute mal ohne Wein. Dafür mit der AfD

 Heute wird’s mal ganz trocken hier. Denn wenn Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel gemeinsam vor die Presse treten, um das Europawahlprogramm und einige nationale Beschlüsse zu verkünden, sollte das für Politik-Journalisten derzeit ein Pflichttermin sein. Ist es auch, wie der große Andrang in einem Saal der Bundespressekonferenz am Mittwoch in Berlin demonstrierte. Man kann die “Alternative für Deutschland” nicht totschweigen, denn sie existiert und bewegt sich in den Umfragen zur Europawahl konstant zwischen sechs und sieben Prozent – immerhin doppelt so viel wie die FDP und nur knapp hinter der LINKEN. Es reicht auch nicht, die neue Partei zur Projektionsfläche für liebgewordene Kategorisierungen zu machen. Da sind nicht nur einfach “Rechtspopulisten” oder gar “Rassisten” am Werk – obwohl es diese Strömungen in der AfD zweifellos gibt.

 Politischer Kern der AfD ist – und es tut weh, so etwas sagen zu müssen – eine fundierte und in weiten Teilen korrekte Analyse der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Zwar ist Lucke erkennbar ein selbstverliebter Ökonomonen-Gockel (seine Lieblingsfloskel ist anscheinend “wie sie meiner Ausarbeitung entnehmen können”) doch seine  Beurteilung der ökonomischen Lage in den europäischen Krisenstaaten ist bestechend und vor allem ein angenehmer Kontrast zu den Lügengebilden der großen Parteien, die jetzt ständig von Fortschritten bei der Überwindung der Schuldenkrise schwadronieren. Wenn jemand erläutert, dass die sinkenden Importe und wachsenden Exporte der “Krisenstaaten” keine Zeichen besserer Wettbewerbsfähigkeit, sondern Ausdruck der gigantischen Verarmung großer Bevölkerungsteile sind, dann ist das auch dann vollkommen richtig und wichtig,, wenn es der AfD-Chef ist. Das gilt auch für seine These, dass das gesamte Konstrukt der diversen Rettungsschirme in eine gigantische Enteignung der kleinen und mittleren Steuerzahler münden kann.

 

Dass heißt natürlich nicht, dass die AfD soziale Interessen vertritt oder irgendwie ein bisschen links ist, was immer das sein mag. So hat sie sich  gegen einen gesetzlichen Mindestlohn positioniert, also eher wirtschaftsliberal. Und die nationale Ecke bedient man mit der Forderung nach einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht, dass zwar die Einbürgerung “gut integrierter Zuwanderer” erleichtern, aber die doppelte Staatsbürgerschaft ausschließen soll. Doch kaum hat man innerlich angefangen, auf den Rassisten Lucke zu schimpfen, zieht der die Forderung aus dem Hut, Asylbewerbern Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Und während der russophobe Stammtisch und seine grünen Gesinnungsgenossen sich in verbalen Amokläufen gegen Putin und für korrupte und teilweise offen faschistische politische Strömungen in der Ukraine positionieren, konstatiert die AfD ein Spannungsfeld zwischen dem legitimen Anspruch der Ukraine auf staatliche Souveränität und dem ebenso legitimen Wunsch von Mehrheiten in einzelnen Regionen, diesen Staat verlassen zu wollen, ohne eine griffig-populäre (Schein)Lösung für das Problem anzubieten. Auch die vehemente Ablehnung der von der Bundesregierung geplanten und gerade vom Europäischen Gericht gekippten Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten passt nicht ins gängige AfD-Beschimpfungsschema.

 Natürlich ist diese Partei für mich keinesfalls wählbar. In allen zentralen Fragen der Sozial- und Steuerpolitik sowie der öffentlichen Daseinsvorsorge steht sie von meiner Warte aus auf der anderen Seite. Doch Beschimpfungen reichen nicht und auch Linken aller Schattierungen stünde es gut zu Gesicht, sich jenseits wohlfeiler Parolen etwas fundierter mit den ökonomischen Hintergründen der Euro-Krise zu beschäftigen.

 

 

5 Gedanken zu “Heute mal ohne Wein. Dafür mit der AfD

  1. Lucke und die AfD verteidigen das deutsche Modell des Lohndumpings und der Leistungsbilanzüberschüsse. In ihrer Logik sollen sich die südeuropäischen Krisenstaaten ebenso verhalten wie Deutschland, was aber kaum machbar ist. Im Idealfall würde dann der ganze Euro-Raum massive Überschüsse generieren und die globalen Ungleichgewichte soweit verstärken, dass sich die Euro-Krise globalisiert. Die EU- und Wirtschaftspolitik der AfD ist knallhart neoliberal. Sie lehnen eine Transferunion- und Bankenunion ab und fordern stattdessen die Möglichkeit des Austritts aus dem Währungsraum. In diesem einen Punkt treffen sie sich mit linken Kritikern der EU-Austeritätspolitik wie Flassbeck. Letzterer sieht aber den Austritt der Südländer aus der Währungsunion nur als zweitbeste Lösung an, die beste Lösung wäre eine Abkehr von der Austerität und eine Stützung der Südländer durch die EZB. Dies lehnt aber die AfD ab. Im Übrigen sind sinkende Importe und wachsende Exporte Ausdruck sowohl von Verarmung als auch von steigender Wettbewerbsfähigkeit der Krisenstaaten.
    Auch die These der “gigantischen Enteignung” der kleinen und mittleren Sparer” durch die Rettungsschirme ist ziemlicher Unsinn. Dies suggeriert die Gefahr massiver Inflation, aktuell stehen wir aber vor der Gefahr einer europaweiten Deflation. Auch suggeriert Lucke, dass die “Wir Deutschen” Abschreibungsverluste der EZB-Bilanz (Target-Salden) tragen müssten. Was für ein Unsinn. Die EZB schöpft Geld soviel sie will und ihre Bilanz hat daher rein informativen Charakter. Das Hauptproblem ist anderes: Wir erleben seit über 30 Jahren einen kontinuierlichen Fall des Realzinses. Ursächlich hierfür ist ein Sparüberhang. Marxistisch formuliert also eine Überakkumulation, keynesianisch formuliert eine Unterkonsumption. Will man dieses Dilemma ernsthaft auflösen, dann muss man massiv umverteilen und die öffentlichen Investionen wie auch den privaten Konsum erhöhen. Beides will aber die AfD aus eigenem Klasseninteresse nicht. Daher bleibt ihre Krisenanalyse sehr oberflächig. Es sind halt neoklassische Professoren, die weiterhin glauben, die Ökonomie funktioniere so, wie in ihren Modellen. Kurzum: Weinpapst Balcerowiak sollte besser weiter über Wein schreiben und nicht über Makroökonomie. ;-)

    • Werter Parteisekretär,

      1.Ich würde niemals bestreiten, dass die AfD auf neoliberale Konzepte für den Euroraum setzt. Das ändert nichts an der partiell richtigen Analyse, die ja auch beinhaltet, dass die den Südländern aufoktroyierte Austerirätspolitik gescheitert ist und auch weiterhin scheitern wird (anders als es Merkel,Schäuble&Co behaupten).

      2. Deine Behauptung, steigende Exporte und sinkende Importe der “Krisenstaaten seien auch Ausdruck wachsender Wettbewerbsfähigkeit im Sinne einer positiven gesamtwirtlichen Entwicklung, halte ich für sehr zweifelhaft. Und auch da verweise ich gerne auf Luckes Ausführungen (die ich in meinem Blog verlinkt habe).

      3. Natürlich will die AfD aus eigenem Klasseninteresse weder massiv umverteilen noch den öffentlichen Sektor ausbauen. Auch diese Feststellung widerspricht keineswegs meinem Blogeintrag.

      4. Ich habe nicht von “kleinen und mittleren Sparern” sondern von Steuerzahlern gesprochen. Und weder die AfD, noch ich haben was von Inflationsgefahren erzählt. Aber wir sind uns wohl einig, dass z.B. die nationalen und europäischen Rettungspakete für die Banken in der Tat unmittelbar auf den Haushalt einwirken und eine Umverteilung von unten nach oben bedeuten.

      Weiteres gerne bei einigen Gläsern guten Weins. (Bevorzugst Du immer noch Lindenblättrigen und Erlauer Stierblut?)

  2. “Die EU- und Wirtschaftspolitik der AfD ist knallhart neoliberal.”

    Als Marktliberaler in der AfD verstehe ich diese Aussage als Auszeichnung. Da es in Deutschland keine marktliberale Partei mehr gibt, musste es eine neue Partei geben, die diese Lücke ausfüllt. Leider sind sicher nicht alle Miglieder der Partei marktliberal eingestellt, wie die interne Abstimmung zum Mindestlohn gezeigt hat. Mit diesen Leuten möchten jedoch weder Sie noch ich etwas zu tun haben.

    Und natürlich vertreten die Marktliberalen in der AfD ihr, wie Sie es formulieren, “Klasseninteresse”. Sie, und die Linken, tun dies ja auch. Das nennt man Demokratie.

  3. Das Europaprogramm hat die AfD schon am 22.3 auf dem Parteitag in Erfurt beschlossen. Wer also auf einen Termin geht, wo das Programm nun knapp drei Wochen später nochmal verkündet wird, geht nicht auf einen Pflichttermin, sondern fällt auf einen PR-Trick herein.

    • Es ging auf der PK in erster Linie nicht um das Programm, sondern um die (später verfasste) Analyse der Euro-Finanzkrise. Davon mal abgesehen: Prewssekonferenzen von Parteien sind so gesehen immer PR-Tricks.