Der Briefkasten war wieder mal besonders voll. Meistens bin ich versucht, den Stapel Werbeprospekte und – anschreiben sowie die unsäglichen Bezirkszeitungen sofort in den Papierkorb zu werfen, doch das ist nicht ohne Risiko, denn bisweilen rutschen etwas wichtigere Briefe dazwischen. So auch diesmal, als sich zwischen dem „einmaligen Osterangebot“ eines Weinvertriebs und dem Metro-Katalog die Wahlbenachrichtigung für die Europawahlen am 25.Mai befand.
Natürlich könnte man auch dieses Anschreiben ungelesen wegwerfen. Europawahlen sind ein politisch wenig relevantes Spektakel, bei dem in erster Linie abgehalfterte Landes-und Bundespolitiker mit ehrgeizigen Jung-Karrieristen um einen Platz an einem besonders gut gefüllten Futtertrog rangeln. Die entscheidenden EU-Gremien, also die EU-Kommision und der Rat der Ministerpräsidenten werden ohnehin nicht gewählt sondern ausgekungelt, von den unzähligen in Brüssel und Strasbourg tätigen Lobbyisten mal ganz zu schweigen. Europawahl ist daher Ton Steine Scheiben-Zeit: Keine Macht für Niemand
”Ich bin nicht frei und ich kann nur wählen
Welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen
Ich bin tausendmal verblutet und sie haben mich vergessen
Ich bin tausendmal verhungert und sie war’n vollgefressen
Im Süden, im Osten, im Westen, im Norden
Es sind überall dieselben, die uns ermorden”
( Die These wird variiert)
“Im Süden, im Osten, im Norden, im Westen
Es sind überall dieselben, die uns erpressen”
(oder in der oben verlinkten Live-Version „…“die die Luft verpesten“)
und später dann noch
In Augsburg, in München, Frankfurt, Saarbrücken
Es sind überall dieselben, die uns unterdrücken.
Dennoch werde ich meine Briefwahlunterlagen anfordern.
Zum einen bewege ich mich am 25 Mai irgendwo zwischen Lothringen, Trier und Luxembourg, um die Weinkultur der in Genießerkreisen leider vollkommen unterbewerteten südlichen Mosel zu erkunden. Außerdem geht es in Berlin an diesem Wahltag auch um einen Volksentscheid zum Tempelhofer Feld, dem ehemaligen Berliner Flughafen. Eine zutiefst asoziale Bürgerinitiative will per Gesetz verhindern, dass an den Rändern des riesigen Areals Wohnungen gebaut werden. Der Senat will dort bauen lassen, garantiert aber, dass der Großteil der Fläche -immerhin 230 Hektar – dauerhaft unbebaut und als frei zugängliche Erholungs- und Freizeitfläche erhalten bleibt. Grüne und Linke haben sich mit nahezu schamlos heuchlerischen Argumenten an das Volksbegehren der Asozialen rangehängt. Ich will mit meiner Stimme jedenfalls helfen, diesen Pfeifen einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Bleibt noch meine Stimme für das EU-Parlament. Ich stehe da in erfolgversprechenden Verhandlungen mit einem verwirrten Kommunisten, der dazu tendiert für das Volksbegehren zu stimmen, weil ihm die geplante Wohnbebauung irgendwie nicht sozialistisch genug ist. Der Deal wäre, er bekommt meine EU-Stimme für die DKP und ich dafür seine gegen das Volksbegehren. Das nennt man dann wohl “win-win-Konstellation”.
Du weist aber schon, dass Du mit der DKP auch deine ehemaligen Vorgesetzten bei der “Jungen Welt” wählst, die dich fristlos vor die Tür gesetzt haben?! Und von der südlichen Mosel erwarte ich ein paar amtliche Weintipps
Da kannst Du mal sehen, was ich für Opfer bringe, um Stimmen gegen das Scheiß-Volksbegehren zu sammeln.
Auf die südliche Mosel freue ich mich, vor allem auf Lothringen, denn diese Weine sind für mich bislang terra incognita. Ich werde berichten, hier und bei captain cork (http://www.captaincork.com)