Als Linker und noch dazu linker Journalist und Blogger steht man derzeit unter einem gewissen Bekenntnisdruck: Wie hältst Du es mit der Ukraine, wie hältst Du es mit Israel, bzw. mit dem Krieg im Gaza-Streifen? Lagerdenken ist weit verbreitet, Grautöne sind eher unerwünscht, ersehnt wird eine nahezu biblische Unterteilung in Gut und Böse. Zur Untermauerung der eigenen Position wird gerne auf diverse “Quellen” verwiesen. Manchmal erscheint dies wie eine kollektive Amnesie, denn eigentlich müsste mittlerweile jeder wissen, dass der Kampf um die Meinungshoheit besonders im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen längst ein Tummelfeld der Geheimdienste und bezahlter PR-Agenten ist.
Ich hab da keinen Bock drauf, will mich aber dennoch nicht komplett wegducken. Daher ein paar Thesen.
1.) Ich weiß nicht ob und wenn ja von wem das malaysische Passagierflugzeug mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde. Deshalb beteilige ich mich derzeit nicht an Spekulationen und Schuldzuweisungen.
2.) Der Ukraine-Konflikt wurde vom Westen geschürt, um die ökonomische, politische und geostrategische Einkreisung Russlands weiter voran zu treiben. Allerdings gibt es auch ein legitimes ukrainisches Interesse an der Wahrung seiner territorialen Integrität und nationalen Souveränität. Man kann nicht – vollkommen zu Recht- die militärische Zerschlagung Jugoslawiens durch die NATO und deren Unterstützung für die albanischen UCK-Serperatisten geißeln und auf der anderen Seite die gar nicht so verdeckte Intervention Russlands in der Ost-Ukraine zum “antifaschistischen Freiheitskampf” hochjubeln.
3.) Wie Israel gegen die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen vorgeht, ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber dass dort militärisch interveniert wird, um die militärische Infrastruktur der Hamas und anderer Gruppen zu zerschlagen, ist legitim. Denn auch die Raketen auf Israel sind Terror gegen die Zivilbevölkerung. Eine militärische Lösung des Konflikts wird es allerdings nicht geben. Israel müsste den Siedlungsbau dauerhaft stoppen und partiell rückgängig machen. Die Hamas müsste die Existenz des Staates Israel anerkennen. Eine solche Entwicklung ist auf Grund des auf beiden Seiten herrschenden Wahnsinns allerdings kaum vorstellbar. Leider.
4.) Wer vehement und zornig gegen die Politik Israels und besonders gegen den Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen protestiert, hat dazu jedes Recht der Welt. Wer bei diesem Protest auf eine eindeutige und konsequente Abgrenzung zu Judenhassern verzichtet, verspielt dieses Recht.
Vieles an der kurzen Einlassung finde ich richtig, jedoch diesen Satz nur bedingt: “Aber dass dort militärisch interveniert wird, um die militärische Infrastruktur der Hamas und anderer Gruppen zu zerschlagen, ist legitim. Denn auch die Raketen auf Israel sind Terror gegen die Zivilbevölkerung.” Der Raketenbeschuss der Hamas, der nicht zu rechtfertigen ist, kam keineswegs grundlos. Erinnern wir uns: Nach dem letzten Gaza-Krieg wurde in 2012 als Teil des Waffenstillstands vereinbart, dass die Blockade sukzessive gelockert wird und die Grenzübergänge nach Ägypten und Israel geöffnet werden. Obwohl sich die Hamas an die Vereinbarung hielt (die wenigen Raketen, die abgeschossen wurden, waren nicht der Hamas zuzuordnen), wurde die Belagerung Gazas von Seiten Israels aufrechterhalten. Es folgte in 2013 und 2014 die Friedensgespräche, die nachweislich – auch nach Ansicht der USA und nach verklausulierter Aussage von Peres – abermals an Israel scheiterten. Es folgt die Bildung der Regierung der Einheit von Fatah und Hamas (was der nötige Schritt für demokratische Wahlen in Gaza war). Israel beantwortete diese Einheitsregierung mit völkerrechtswidrigen Finanzsanktionen. Nach dem Mord an den drei Talmudschülern entfachte die israelische Besatzungsmacht eine beispiellose Razzia in den besetzten Gebieten und töte mehrere unbeteiligte Zivilisten und zerstörte Häuser von Hamas-Mitgliedern. Obwohl es keinerlei Beweise gab, dass die Hamas für den Mord verantwortlich war (es ist sogar wahrscheinlicher, dass es andere islamistische Gruppen waren), wurden 500 Mitglieder der Hamas verhaftet und ohne Anklage ins Gefängnis gesteckt. Auch dies ist grob völkerrechtswidrig und stellt eine abzulehnende kollektive Bestrafungsaktion dar. Dies war eine de Fakto Kriegserklärung an die Hamas, da viele der Verhafteten erst kürzlich in einem Gefangenenaustausch freigelassen wurden. Die Folge war die Wiederaufnahme des Raketenbeschusses durch die Hamas. Man muss kein Freund der islamistischen Hamas sein, um zu erkennen, dass in der israelischen Regierung, in der Rassisten und Rechtsextremisten sitzen, keinerlei Bereitschaft zum Frieden besteht. Im Gegenteil: In Übereinstimmung mit der Mehrheit der deutlich nach rechts gerückten israelischen Gesellschaft, ist es das Ziel, an der Belagerung Gazas festzuhalten und den neo-kolonialen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland und voranzutreiben. Insofern kann man sehr wohl in diesem Konflikt parteilich sein. Die antisemitische Hetze und islamistische Propaganda der Hamas ändert nichts daran, dass der Staat Israel seit 1967 ohne Not und ohne militärische Notwendigkeit das kolonialistische Projekt eines Groß-Israel betreibt. Das doppelte Maß, mit dem der Westen diesen Konflikt beurteilt und einseitig Partei ergreift, ist beschämend. Lächerlich ist dagegen der vielfach geäußerte Standpunkt, man dürfe sich nicht positionieren, da alle Schuld hätten und der Konflikt viel zu kompliziert sei. Dann hätte man auch nicht Partei für den ANC ergreifen dürfen. Leider haben die Palästinenser nie so klug und auch nicht friedlich-zivilgesellschaftlich agiert, wie der ANC. Dennoch ist ihr Kampf für den eigenen Staat (auch wenn ein bi-nationaler und säkularer Staat immer die beste und gerechteste Lösung für Israel/Palästina wäre) legitim und verdient Solidarität. P.S.: Die Schilderung, warum die Hamas nicht grundlos auf Israel Raketen abfeuert, lässt sich im aktuellen Economist auf S. 34 nachlesen.
Kann allen Thesen bis auf 3. zustimmen. Israel hat keine andere Wahl, solange sich die HAMAS feige hinter Kindern und Zivilisten versteckt und ihre Waffenlager bewußt in Schulen, Kankenhäusern usw. betreibt und die Zivilbevölkerung daran hindert, nach Warnungen der Israelis das betreffende Gelände zu verlassen. Zu BO Wandlitz Kommentare 2 Anmerkungen:
1.Das die israelische Gesellschaft nach rechts rückte, war auch eine Folge der gescheiterten Politik der Linken “Land gegen Frieden” . Alle bisher herausgegebenen Gebiete werden dazu genutzt, Israel zu beschießen und zu bekämpfen. Die Mehrzahl der Bevölkerung hatte die Schnauze voll.
2. Das Problem ist, daß kein palästinänsischer Politiker im Gegenzug zum eigenen Staat Garantien zur Sicherheit Israels abgeben kann oder will.
Das Existenzrecht Israels muß Grundlage von Verhandlungen sein. Genau dies sehen die vielen antisemitischen Linken hier in D anders. Das ist nebenbei der Grund, mich nicht bei den LINKEN zu engagieren.