Dass die Welt sozial, ökologisch und geopolitisch immer mehr aus den Fugen gerät, ist kein sonderlich origineller Befund. Allerdings kann man im satten, vergleichsweise zivilisierten Deutschland allmählich das Gefühl bekommen, dass die Einschläge immer näher rücken. Der Konflikt um die Ostukraine steht an der Schwelle zum regulären Krieg, für den Konflikt im Nahen Osten ist keine Lösung in Sicht und in einigen arabischen Staaten breitet sich der islamistische Terror mit bisher ungekannter Wucht aus. Und es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich diese Spielart der „Gotteskrieger“ auch in Ländern wie Deutschland deutlich bemerkbar machen wird, zumal etliche Kämpfer hier rekrutiert wurden.
Da kann man schon Mal panisch werden, vor allem im Kopf. Eher emotional habe ich mich u.a. bei Facebook für die Lieferung deutscher Waffen an „die Kurden“ ausgesprochen, da diese anscheinend als einzige in der Lage sein könnten, dem außerzivilisatorischen Wahn des IS Einhalt zu gebieten. Gegen diese Haltung gab und gibt es viele kluge Einwände, die ich mir teilweise zu eigen gemacht habe, ohne mittlerweile eine klare Position zu haben.
„Die Kurden“ gibt es nicht. Im Gegenteil, in den über mehrere Staaten verteilten kurdischen oder mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinzen haben jeweils einzelne Gruppen das Sagen, die sich untereinander spinnefeind sind und sich in der Vergangenheit auch bewaffnete Scharmützel geliefert haben. Die Waffen sollen an den Barzani-Clan im Irak geliefert, der eine eher konservativ-reaktionäre Politik vertritt. Allerdings ist so ziemlich jeder unterstützenswert, der den IS-Abschaum möglichst effektiv militärisch attackiert. Sogar meine Vorbehalte gegen US-Luftschläge halten sich in diesem Fall in sehr engen Grenzen.
Dennoch gibt es gewichtige Argumente gegen Waffenlieferungen. Denn Konstellationen, in denen nackter Terror gegen Ethnien oder Andersgläubige zu verzeichnen ist, gab und gibt es zuhauf. Wer definiert die Grenzen, die überschritten sein müssen, um Waffen zu liefern?
Für die Bundesregierung wären Waffenlieferungen an kurdische Gruppen jedenfalls ein willkommener Anlass, um diese Art der Außenpolitik hoffähig zu machen. Das zwar durch normale Rüstungsexporte durchlöcherte, aber dennoch offiziell noch geltende deutsche Tabu, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, wäre endgültig gefallen. Keine schöne Vorstellung. Aber wäre die weitere Ausbreitung des IS nicht die wesentlich größere Katastrophe? Kling nach Wahl zwischen Pest und Cholera, aber viel weiter bin ich noch nicht.
Kommen wir zu harmloseren, aber dennoch wichtigen Konflikten. Kaum wird im mittlerweile angesagten Berliner Altstadtkiez Moabit eine bislang für eine Jugendverkehrsschule genutzte Fläche frei, kommen aus allen Ecken die „Baumschützer“ und „Grünflächenfreunde“ angetrabt, um gegen Pläne für eine Wohnbebauung des Areals mobil zu machen. Asozialer geht es wohl kaum: Berlin braucht dringend auch für Einkommensschwache bezahlbaren Neubau besonders im innerstädtischen Bereich. Aber die Kiezchauvinisten, die in der glücklichen Lage sind, hier eine Wohnung zu haben, wollen sich nicht in ihrer Idylle stören lassen. Bäh!
Für Erbauung sorgt auch angesichts welt- und lokalpolitischer Krisen mitunter ein großartiger Wein. Gestern haben wir einen nahezu prototypischen Saar-Riesling getrunken, den „Kern“ aus der Lage Ayler Kupp vom Weingut Peter Lauer. Perfektes Zusammenspiel zwischen der rassigen Säure und der kräftigen (35 Gramm pro Liter), aber unaufdringlichen Restsüße. Sehr cremig und fruchtig (maracuja) aber getragen von steiniger Mineralität. Natürlich nichts für Trocken-Fundis, aber besonders im Zusammenspiel mit meinem gelben Fischcurry wohl unschlagbar. Da vergisst man dann auch mal kurz den IS, den Gaza-Streifen und die Ukraine.