Andrea Nahles ist nach eigenen Angaben gläubige und praktizierende Katholikin. Von daher kann man der Bundesarbeitsministerin durchaus eine gewisse Kompetenz in Sachen unbefleckte Empfängnis zutrauen. Und tatsächlich will Nahles uns jetzt beweisen, dass das tatsächlich funktioniert. Sie will Anfang November ein Gesetz vorlegen, das die Möglichkeiten von selbstbewussten und kampfstarken Spartengewerkschaften wie GDL und Cockpit zum Abschluss von eigenständigen Tarifverträgen aushebelt, ohne das in der Verfassung garantierte Streikrecht anzutasten. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts diesen Unfug durchgehen lassen. Falls doch, wäre es allerdings an der Zeit, die Lehre von der unbefleckten Empfängnis wieder in den Leitkanon der Wertevermittlung an deutschen Schulen aufzunehmen.
Die in der GDL organisierten Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Rangierlokführer, Ausbilder und Disponenten scheinen von Nahles’ Exerzitien wenig beeindruckt zu sein. Nach ein paar Vorgeplänkeln wurde der Bahnverkehr Mittwoch und Donnerstag für 14 Stunden lahmgelegt. Beziehungsweise fast doppelt so lange, weil die Bahn bereits 14 Stunden vor dem GDL-Streik begann, sich selbst zu bestreiken, indem sie viele Fern- und Regionalstrecke zurückzog. Und da das Management des bundeseigenen DB-Konzerns weiterhin Verhandlungen über einen Tarifvertrag für das Fahrpersonal verweigert, macht die GDL so langsam wirklich Ernst. Ab Sonnabend früh um 2 Uhr wird der Personen-Bahnverkehr für sportliche 50 Stunden bestreikt und als Bonus legen die Lokführer im Güterverkehr noch 11 Stunden drauf, weil schon am Freitag um 15 Uhr den Dienst einstellen.
Daran gibt es nichts, aber auch wirklich gar nichts zu kritisieren. Im Gegenteil: Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, in dem es noch Menschen gibt, die sich kollektiv gegen Ausbeutung und Tarifdiktate zur Wehr setzen. Und wenn ich mir heute abend , schließlich habe ich Geburtstag, ein Gläschen Champagner und/oder einen anständigen Grand Cru eingieße, dann werde ich das Glas nicht nur auf mich, sondern auch auf die GDL und ihren unbeugsamen Vorsitzenden Claus Weselsky erheben. Den habe ich zuletzt Mittwoch für die taz interviewt.
Ansonsten nehme ich die Sache sportlich. Natürlich muss ich am Wochenende auf meinen Wandlitzer Landsitz um Herbstarbeiten wie Beete säubern und Laub kehren fortzusetzen.. Als Nicht-PKW-Besitzer pflege ich die An- und Abreise meistens mit der ohnehin genialen Kombination aus Fahrrad, S-Bahn und Regionalbahn zu absolvieren. Die – privat betriebene – Regionalbahn von Karow nach Wandlitzsee wird fahren, die S-Bahn allerdings nicht. Doch was sind schon 2 x 17 Kilometer Extratour mit dem Fahrrad gegen einen Streik, der nicht nur die Löhne und Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals der Bahn AG verbessern helfen soll, sondern auch der Verteidigung des Streikrechts im Allgemeinen dient.
Ansonsten bin ich ohnehin recht zuversichtlich. Denn das mit der unbefleckten Empfängnis wird Frau Nahles mit großer Wahrscheinlich nicht hin bekommen. Halleluja!