Anne Will ist zum Kotzen

Ich meide eigentlich Talk-Shows im TV, aber manchmal muss ich mir sogar „Anne Will“ anschauen. Wie am Mittwoch, denn der Tarifkonflikt bei der Bahn ist derzeit eines meiner publizistischen Hauptarbeitsfelder. Den Vertretern der beiden Spartengewerkschaften GDL und Cockpit, Claus Weselsky und Ilja Schulz , saßen ein Vertreter der Luftfahrtindustrie , der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und eine neoliberale Tussi von der Zeit gegenüber. Die schwätzte irgendwas von Geiselnahme, und meinte damit die Streiks der beiden Gewerkschaften für einen Tarifvertrag bzw. gegen Absenkungen beim Vorruhestandsgeld. Das müsse natürlich aufhören, und zwar per Gesetz. Der Ex-Bürgermeister assistierte, indem er das im Grundgesetz garantierte Streikrecht als „interpretatiomsfähig“ bezeichnete und die Streiks gar als „Geiselhaft für eine ganzer Nation“ bezeichnete. Und Anne Will gab sich wenig Mühe, ihre an Hass grenzende Abneigung gegen die Gewerkschaftssprecher zu verbergen. Schließlich sei Mobilität per Bahn und Flugzeug Teil der sozialen Daseinsvorsorge.

Die beiden Gewerkschaftsbosse blieben erstaunlicherweise gelassen. Weselsky wies darauf hin, dass der Bundestag 1993 die rechtliche Privatisierung der Bahn beschlossen habe und den Sdcxhienenverkehr somit aus der Daseinsvorsorge in den freien Markt entlassen habe. Seitdem werden Bahn-Beschäftigte nicht mehr verbeamtet und dürfen natürlich für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen notfalls auch streiken. Und zwar auch dann, wenn es der Regierung, dem Management oder einer anderen Gewerkschaft nicht passt. Schließlich war es die DGB-Gewerkschaft Transnet (heute EVG), die den Plan für einen Börsengang der Bahn unterstützte und faktische Lohnsenkungen – besonders für Lokführer – absegnete. Schulz bezeichnete es als ziemlich normalen Vorgang, wenn sich eine Gewerkschaft dagegen wehrt, das ein Unternehmen bestehende tarifliche Vereinbarungen zum Nachteil der Beschäftigten canceln will. Und beide beriefen sich zu Recht auf das Grundgesetz.

Für Dohnanyi, Will und die Zeit-Tussi scheinen die in der Verfassung definierten Grundrechte allerdings nur eine Art anachronistischer Folklore zu sein. Damit stehen sie nicht alleine. Und das ist das eigentlich Erschreckende an der momentanen Diskussion über die Streiks des Bahn-Fahrpersonals und der Lufthamnsa-Piloten.

Davor war der Mittwoch ganz angenehm. Es gab (ich gebe gerne zu, dass sie nicht von mit zubereitet wurde) eine wunderbar unspektakuläre Kürbissuppe. Als Einlage dazu in Sojasauce marinierte und halbkross gebratene Tofu-Streifen. Der Hammer! Seit Jahren kämpfe ich mit dieser Sojapampe und kriege selten etwas Brauchbares zustande. Fazit: Andere können halt auch kochen.

Dazu gab’s einen Bio-Morio Muskat von der Nahe. Seit Jahren bin ich davon überzeugt, dass niemand diese Rebsorte braucht, und sie wird ja auch kaum noch angebaut. Einen Versuch ist das allerdings wert. Doch für einen Sinneswandel reicht dieser Wein nicht. Zur Suppe und auch zur anschließenden Käseplatte war er halbwegs erträglich, Morio Muskat fehlt jedoch einfach das Säuregerüst, um die schluffigen Fruchtaromen und den Muskat-Touch einigermaßen einzubinden. Beim Hintergrundgespräch mit Weselsky vor einigen Wochen in einem Berliner Hotel gab es jedenfalls besseren Wein.

 

 

 

 

Ein Gedanke zu “Anne Will ist zum Kotzen

  1. Hallo Herr Balcerowiak,

    ich empfehle dazu unseren Beitrag zum Thema: »Anne Will versus GDL: Wenn der Weselsky mit dem Grundgesetz droht«

    Auszug:

    Eine Polemik als Antwort auf einen »öffentlich-rechtlichen« Nachrichtenkulturkampf

    Unter dem reißerischen und alles andere als neutralen Titel »Lokführer und Piloten legen Deutschland lahm – Arbeitskampf oder Erpressung?« lud Anne Will am 22. Oktober 2014 die »Bosse« der Gewerkschaft der Lokführer (GDL), Claus Weselsky, und der Vereinigung Cockpit, Ilja Schulz, zur öffentlichen Hinrichtung. Als Henker wurde Klaus von Dohnanyi (SPD), Jurist und als ehemaliger Beauftragter der Treuhandanstalt für die Privatisierung ostdeutscher Kombinate mit der Unterwerfung unbotsamer Arbeiter vertraut, und als dessen Sekundanten zunächst Klaus-Peter Siegloch, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft und ehemaliger Leiter der ZDF-Hauptredaktion Innenpolitik, und eine wohl für ihr einmaliges Verständnis der Belange deutscher Unternehmen weit über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmte Kerstin Bund, Wirtschaftsredakteurin der ZEIT, in Anne Wills öffentlich-rechtliches Privatstudio in Berlin Mitte einbestellt.

    Quelle: http://grundrechteforum.de/234704