Die Wilden und die Braven

Vor 50 Jahren wurde das Berliner Jazzfest (damals noch Jazztage) mit einem Grußwort von Martin Luther King eröffnet. Da lag es nahe, das Jazzfest 2014 mit einem Auftragswerk zu eröffnen, dass dem 1968 ermordeten afroamerikanischen Bürgerrrechtler gewidmet war. Der in der New Yorker Avantgarde-Szene verwurzelte musikalische Tausendsassa Elliott Sharp wurde mit dieser Aufgabe betraut und löste sie zusammen mit seiner großartigen Band eigenwillig, aber überzeugend.

Elliott Sharp+Band: Kitschfreies Gedenken an Martin Luther King.
© Matthias Creutziger

Es begann mit einem flüsternden, zaghaften, fast sphärischen Bläsersatz, der sich in wütenden atonalen Attacken auflöste. Dies war der Auftakt für eine Art Patchwork-Suite, einen Parforce-Ritt durch einige Jahrzehnte afro-amerikanischer Musik und ihrer Rezeption.. Manchem mag das zu beliebig vorgekommen sein, oder auch zu wenig perfektioniert dargeboten. Mich hat diese sprühende Lose-Blatt-Sammlung fasziniert. Und wenn mitten in diesem Programm quasi ansatzlos eine unglaublich abgehangene und dennoch druckvolle Rockballade mit der großartigen Sängerin Tracie Morris aufblüht, weiß ich, dass ich gerade wieder einen jener großen Jazzfest-Momente erlebe, die es in manchen Jahren gibt und in manchen nicht.

Danach betraten vier brave, nette, junge Menschen und spielten brave, nette Musik. Es handelte sich um das Quartett der Leipziger Schlagzeugerin Eva Klesse. Ein paar wirklich schöne Ideen waren da zu hören, aber kein Groove, kein Druck sondern eher Kopfmusik mit ganz leichtem Eso-Touch. Und – ganz nebenbei – mit der am miesesten ausgesteuerten Bassdrum, die ich seit Jahren gehört habe. Zweifellos ist Eva Klesse eine tolle, spielfreudige Drummerin, aber eine Bassdrum darf nun mal nicht so klingen wie diese großen Pappeimer, in denen früher Waschmittel verkauft wurde. Fazit: Optimale Musik für Yoga-Kurse des gehobenen Mittelstandes.

Wie man nach diesen Zeilen wohl mitbekommen hat, bin ich seit gestern im Jazzfest-Modus. Das heißt vier Abende und manchmal auch halbe Nächte Musik. Wer es irgendwie ermöglichen kann, sollte da auch mal eintauchen, denn gute Musik ist schlicht Seelenhygiene.

 

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