Krieg von Kabul bis zum Jobcenter

Das Jahresende ist die Zeit der Bilanzen. So endet der 13jährige Kampfeinsatz der NATO in Afghanistan und die haben es tatsächlich mit einem Festakt in Kabul gefeiert. Insgesamt 135.000 deutsche Männer und – ganz im Sinne des Gender Mainsteaming – Frauen durften ein bisschen Bundeswehr-Stahlgewitter-Feeling genießen und am Hindukusch deutsche Interessen „verteidigen“. Leichen pflasterten ihren Weg, darunter auch eigene Verluste und jede Menge afghanische Zivilisten. Als Belohnung gab’s für einige Söldner noch eine solide posttraumatische Belastungsstörung. Keiner will zugeben, dass die Mission vollkommen sinnlos war und die Taliban stärker sind, als je zuvor. Ball flach halten ist die Devise, wir wollen schließlich auch künftig noch ein paar Kriege führen. Und zur Volksbeglückung gab’s ja immerhin noch den Weltmeistertitel im Fußball für Helene Fischer oder so.

Ein weiterer Krieg dauert mittlerweile auch schon zehn Jahre und wird wohl auf unbestimmte Zeit weiter gehen. Dieser wird nicht mit Luftangriffen und gepanzerten Fahrzeugen geführt, sondern mit Gesetzen und deren willfährigen Vollstreckern. Die Rede ist von Hartz IV, wodurch nicht nur ein dauerhafter Armuts- sondern flankierend auch ein gigantischer Niedriglohnsektor und neue Formen prekärer Arbeit etabliert wurden. Wenn man weiß, dass in Berlin jedes vierte Kind in Hartz-IV-Armut lebt und dann vor ein paar Tagen in der „Augsburger Allgemeinen“ lesen konnte, die Hartz-IV-Gesetze seien „ein heilsamer Schock für ein träge gewordenes Land“ gewesen, dann möchte man dem Verfasser dieser Zeilen schlicht und ergreifend gerne eins in die Fresse hauen.

Kleiner Lichtblick: Die GDL wehrt sich gegen die Einschränkung des Streikrechts.
Foto:GDL

Auch sonst war 2014 ein Jahr des Fortschritts. Die Altersarmut kommt ebenso zügig voran wie der Pflegenotstand. Mit der AfD hat sich eine rechtspopulistische Kraft konsolidiert, mit PEGIDA zeigt die dumpfe kleinbürgerliche Fremdenfeindlichkeit auch jenseits der Brandsatzwerfer wieder ein weithin sichtbares, hässliches Gesicht. Die Bundesregierung hat einen „allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn“ beschlossen, der Millionen Erwerbstätige im Regen stehen lässt, sowie ein „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ mit dem das Streikrecht drastisch eingeschränkt werden soll. Wer sich dagegen wehrt, wie z.B. die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), wird von vermutlich denselben Medien-Arschlöchern, die Hartz IV bejubeln, zum Freiwild erklärt.

Apropos Widerstand: Der größte „Erfolg“, den Berlins versammelte Linke, Grüne, Piraten, Naturschützer, Freiraumbewahrer, Antigentrifizierer usw. 2014 zu verzeichnen hatten, war ein komplett asozialer Volksentscheid gegen jegliche Wohnbebauung des Randbereiches des Tempelhofer Feldes. Und dieser ekelhafte Kiezchauvinismus beherrscht mittlerweile die gesamte Neubaudebatte in Berlin. Auch bei mir in Moabit hat man gegen die Einheitsfront der Baum- und Strauchschützer mit denjenigen Anwohnern, die ihren unverbauten Blick behalten wollen, kaum eine Chance. Selbst am Stadtrand in Buckow gibt es Bürgerinitiativen gegen Neubau. Die sind vielleicht nicht ganz so widerlich wie der Ostberliner Mob, der gegen Flüchtlingsunterkünfte hetzt, diesem aber ähnlicher, als sie denken.

Glücklicherweise hatte das Jahr neben Frust und viel Arbeit für mich auch schöne Aspekte. Z.B. eine ausgedehnte Gartensaison in Wandlitz mit viel Muße und einigen fröhlichen Gelagen.Tolle Impressionen bei Weinreisen an die Saar, nach Portugal und ins Burgund. Und natürlich die jährliche, fast schon spirituelle Seelenreinigung beim Bachfest in Leipzig und beim Jazzfest in Berlin.

Am 26.Dezember haben wir es nochmal krachen lassen: Tofu-Lachterrine, Rehkeule usw. Und natürlich gab es Weinerkenntnisse. 1.) Gereifte trockene Riesling-Auslesen, wie der 2009er Reiler Goldlay von Steffens-Kess, können eine Offenbarung sein. Wer irgendwie die Möglichkeit hat, sollte sich guten jungen Riesling ein paar Jahre beiseite stellen. 2.) Zu Wildgerichten gibt es anscheinend nichts Besseres als portugiesische Rotweine, in diesem Fall ein Touriga nacional von der Quinta do Crasto. So soll es sein, denn Genuss ist bekanntlich Notwehr.

 

 

 

Ein Gedanke zu “Krieg von Kabul bis zum Jobcenter

  1. Viel, sehr viel Zustimmung.
    Wo ich zweifele, ist, wenn Du den Mob meinst lokal verorten zu müssen. Glaubst Du wirklich, dass Du an anderen Stellen der Stadt nicht genau das Gleiche bekommen wirst? Ich jedenfalls nicht.
    Nur zur Erinnerung: Der erste gesamtdeutsche Pogrom fand 1990 in Mannheim-Sandhofen statt. Der Pöbel rottete sich vor dem dortigen Asylbewerberhein zusammen…….