In Berlin ist fast immer was los. Zum aktuellen Programm gehören (ab Montag) das Top-Event magersüchtiger Models („Fashion Week“), die „Grüne Woche“ genannte Propagandashow des Bauernverbandes (seit Freitag) und die große „Wir haben es satt“-Demo gegen Letzteres am Sonnabend in der Berliner Innenstadt zwischen Potsdamer Platz und Kanzleramt.
Dort sind die Guten: Gegner des Freihandelsabkommens TTIP, der Gentechnik in der Landwirtschaft und der Massentierhaltung bzw. Anhänger des ökologischen Landbaus (was nicht identisch sein muss). Dahinter stehen viele örtliche Initiativen, aber auch große Verbände wie der BUND und Greenpeace.
Hier sind aber auch die Irren, die mir erzählen wollen: „Auch Tiere haben Rechte“. Na dann kann sich Schwein Erwin ja sich beim Amtsgericht Osnabrück über die Bedingungen seiner Haltung beschweren und notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Sehr schön auch „Nutztierhaltung ist Sklaverei“ und mein absoluter Favorit: „Auch Tiere wollen in den Himmel“. Keine schöne Vorstellung, Zwar bin ich Agnostiker, aber falls ich mich irren sollte und dereinst im Paradies sitze, möchte ich bitte nicht von furzenden Kühen und gackernden Hühnern gestört werden. Außerdem will ich – wie in einschlägigen religiösen Werken angekündigt – in Ruhe Milch und Honig genießen und keinesfalls nur Sojamilch und Dattelmus, wie es ein veganer Tierrechteanwalt im Paradies vermutlich veranlassen würde.
Doch es gab noch mehr Ärgernisse auf diesem mit mindestens 100 Traktoren und 20.000 Fußgängern gut besuchten jährlichen Familientreffen der Szene. Bei der Auftaktkundgebung benahmen sich einige Redner wie Sektenprediger aus dem US-amerikanischen Mittelwesten. Besonders Christoph Bautz, Geschäftsführer der kommerziellen Empörungsförderungsagentur Campact, mimte mit peinlichem Gebrülle den Volkstribun.
Eigentlich wollte ich den ersten Veganer-Apostel der mir begegnet mit gentechnikverseuchtem Leberkäs bewerfen. Hatte ich aber vergessen zu besorgen. So blieb nur eindrucksvoller, aber eher stiller Protest gegen diesen Unfug. Ich seilte mich kurz von der Demo ab, um im „Lafayette“ ein paar Austern zu essen und eine kleine Tranche Entenstopfleberterrine zu erstehen.
Die Stärkung war auch nötig, denn der Demozug, dem ich ich wieder anschloss, war wehrlos jenen unzähligen Trommelgruppen ausgeliefert, die in Berlin stets dann aus ihren Kellern kriechen und sich an Straßenrändern postieren, wenn viele Menschen unterwegs sind – egal ob Marathonlauf, Fahrradrennen oder eben Demo. Es ist aber schon ziemlich dreist, die Teilnehmer eines Marsches, der auch was mit Umweltschutz zu tun hat, ohne Chance auf Ausweichen dieser geballten Ladung Akkustik-Smog auszusetzen. Mich hatte jedenfalls keiner gefragt, ob ich mir alle paar hundert Meter mit rhythmisch oft zweifelhaftem Gehacke die Ohren vollballern lassen will.
Die Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt habe ich mir dann gespart. Denn es war zu erwarten, dass die Reden in großen Teilen denen von 2014 entsprechen würden. Das ist einerseits verständlich, weil die Probleme – TTIP, Gentechnik, Massentierhaltung – immer noch die gleichen sind, aber andererseits auch ein bisschen langweilig – und ernüchternd. Denn die Sache kommt nicht wirklich voran: Weder in der Politik, noch in der Bevölkerung ist eine nennenswerte Bewegung oder gar eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten zu beobachten.
Vor der verdienten Siesta in meiner Wohnung noch ein Abstecher in die halbgentrifizierte Moabiter Markthalle. Dort hatte man für den Sonnabend bayrische Blasmusiker angeheuert, die – postiert unter Palmen zwischen Szene-Brunch und Weinhandlung – in kurzen Hosen einen auf Chiemsee-Feeling machten. Spätestens da hatte ich dann das Gefühl, dass das alles zusammen genommen so langsam reicht für einen einzigen Tag.
Allerwertester Rainer B. – ist es dem recherchierenden Journalisten trotz der seit einiger Zeit in großer Zahl aufgehängten Plakate und der umfangreichen Facebook-Präsenz entgangen, dass sich der Chiemsee im Rahmen der ‘Grünen Woche’ über fast zwei Wochen in der Arminiusmarkthalle bürgernah auch mal ohne Eintritt zeigt?
Prospektesammler müssen also nicht ins Geschubse, sondern können sich direkt an der gar nicht gentrifizierten Basis bedienen. An etlichen Tagen sogar begleitet von typischer Musik, die halt in kurzen Hosen dargeboten wird > Die musizierenden Herren bestehen darauf und frieren nicht einmal auf dem Heimweg ins Hotel!
Derartige Dinge im Umfeld von Currywurst und Neuland-Boulette finden anscheinend nicht die Gnade vor den Augen des im Arbeiter- und Bauerntempel ‘Lafayette’ Austern schlürfenden Gentrifizierungsgegners.
Da gilt dann wohl wieder der Satz ‘Lieber Gott – lass Kaviar regnen, damit der Pöbel ausrutscht’.
Darauf ein herzliches PROST mit echt bayrischem Bier!
YHDK