Es ist mutig, in der heutigen Medienlandschaft einen neuen Printtitel auf den Markt zu bringen. Am Trommelwirbel hat es jedenfalls nicht gefehlt, als „Schluck – das anstößige Weinmagazin“ offiziell aus der Taufe gehoben wurde. 800 Leute sollen sich dem Vernehmen nach zur Release-Party in der Berliner Cordobar angemeldet haben (nur rund 100 durften kommen), und Vorschusslorbeeren gab es reichlich. Selbst die dumpfbackige Westberliner Frontstadtpostille „BZ“ beteiligte sich an dem Bohai. Die Berufung des krawallaffinen Wein-Haudegens Manfred Klimek zum Chefredakteur verspricht zudem ein gewisses Maß an Spaß und Niveau.
Das Heft fühlt sich papiertechnisch richtig gut an und bietet schon beim ersten Blättern jede Menge Eye-Catcher. Optischer Höhepunkt für mich die Etikettensammlung, die über viele Jahre in der “Charlie Hebdo”-Redaktion für deren “Hauswinzer” entstand. Auch sonst haben Fotoprofi Klimek und einige andere hier richtig tolle Arbeit geleistet.
Deutlich geteilter entwickelt sich das Lesevergnügen. Einer herzzerreißenden, gut geschriebenen Geschichte über einen französischen Winzer, der durch die Solidarität seiner Kollegen nach einem vernichtenden Hagelschlag vor dem Ruin gerettet wurde, folgt ein ziemlich schmieriges PR-Interview mit einem österreichischen Winzer (der zu den Kunden der hinter dem Magazin stehenden PR-Agentur gehört). Ein vom Ösi-Wein-Original Helmut O. Knall verfasstes, sehr schönes Regionenportrait (Rheingau) gehört ebenso zum Programm wie pubertäres Gerotze gegen “Steakfresser” oder sexuell konnotierter Wein-Schnickschnack. Doch vermutlich gehört letzteres bei einer Klientel, wo der Besitz einer Flasche Pétrus (oder neuerdings auch einer 2003er Scharzhofberger TBA) die Penisverlängerung ersetzt, wohl zum angemessenen Ton.
Das omnipräsente Szene- Gedöns rund um einige übliche Verdächtige und die entsprechenden Locations und ein paar nur mäßig originell verfasste Gedanken über Weintrinken, saufen und Rausch wirken auch eher altbacken und selbstreferenziell statt “anstößig” im Sinne von Denkanstöße gebend. Auf der Habenseite dagegen eine zwar recht trockene, aber fundierte Abhandlung über Terroir und Champagner und die Story über eine japanische Winzerin, die sich in Deutschland und Frankreich durchgekämpft hat und immer noch durchkämpft.
Gegen das hier gepflegte “Anything goes”-Konzept für einen neuen Magazinhecht im trüben Food- und Lifestyle-Karpfenteich ist im Prinzip nichts einzuwenden. Von einem Chefredakteur Klimek hätte ich allerdings ein bisschen mehr Peitsche bei der Durchsetzung sprachlicher (und manchmal auch intellektueller) Finesse erwartet. Dennoch liest und blättert sich der Erstling ganz locker weg. Und manchmal ist der zweite Schluck (der in diesem Fall im nächsten Frühjahr ansteht) ja auch wesentlich eindrucksvoller als der erste.