Heute kein Genuss

Aus Genießersicht ist der europäische Einigungsprozess sicherlich eine Erfolgsgeschichte. Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, der Wegfall von Zoll- und Handelsschranken, der erleichterte Reiseverkehr und die Niederlassungsfreiheit haben auch die Möglichkeit geschaffen, bislang weitgehend fremde Ess- und Trinkkulturen einfacher kennen zu lernen. Die Einführung der gemeinsamen Währung für 17 EU-Staaten bedeutete diesbezüglich einen weiteren Fortschritt. Gerade in einer Stadt wie Berlin hat man sich daran gewöhnt, ohne größeren Aufwand französische Austern, italienischen Hartkäse oder portugiesischen Bacalhau und tollen Wein aus den genannten Ländern erhalten zu können. Und natürlich ist es ein historischer Fortschritt, dass die großen europäischen Nationalstaaten ihren Kampf um Vorherrschaft untereinander nicht mehr mit Waffen austragen. Besonders Letzteres war für das zuständige Osloer Komitee Anlass, der EU den diesjährigen Friedensnobelpreis zu verleihen.     

Eine unglaubliche Entscheidung, denn die Genießer- und Friedensidylle trügt, die hässliche Seite der europäischen Integration überschattet mittlerweile (fast) alles. Längst sind die EU bzw. einzelne ihrer Mitgliedsstaaten – oft im Verbund mit der NATO – an Kriegen beteiligt.  Bei internen  Konflikten zwischen den rivalisierenden Staaten werden zwar nicht mehr Panzer, Fregatten und Jagdflugzeuge in Marsch gesetzt, dafür aber Sparkommissare, deren Wirken ebenfalls zur Verwüstung der betroffenen Länder führen kann. EU und Euro sind keine Integrationsprojekte mit dem Ziel allgemeinen Wohlstands, sondern mörderische Waffen einer Wirtschafts- und Finanzoligarchie, die ihre ökonomische Dominanz gnadenlos zur Plünderung der schwächeren Volkswirtschaften eingesetzt hat.

Sieht nicht aus wie Kriegsgerät. Ist aber für die Unterwerfung ganzer Volkswirtschaften effektiver als Panzer und Jagdbomber

Ein Land wie Deutschland braucht keine Panzer mehr, um andere Volkswirtschaften platt zu walzen. Eine „gemeinsame“ Währung nebst einer hochproduktiven, exportorientierten Industrie gepaart mit Reallohnsenkungen und stetigem Sozialabbau im Inland ist heutzutage wesentlich effektiver. Und ohne mit der Wimper zu zucken haben die Banken Unmengen Geld in die Märkte gepumpt, auf denen sich das deutsche Kapital fett fressen wollte.

Das Spiel ist bekanntlich vorbei. Dennoch werden weiter ungedeckte Schecks in unbegrenzter Höhe ausgereicht, um die Opfer dieser Aggression nicht sofort bankrott gehen zu lassen. Denn dann würde es auch hier ziemlich duster werden: Finanzinstitutionen blieben auf ihren Forderungen sitzen, der Export bräche krachend ein.

Klar ist, wer die Zeche des Desasters zahlen soll. Griechenland, Spanien und Portugal sind erst der Anfang. Dort sind die Programme zur Verarmung großer Bevölkerungsteile bereits Realität, weitere Länder werden folgen, und auch wir können uns warm anziehen.

Natürlich nicht Alle. Schließlich wachsen die Vermögen des reichsten Zehntels der Bevölkerung auch weiterhin in ähnlich atemberaubendem Tempo, wie es die Altersarmut in ein paar Jahren tun wird.  Und dafür gibt’s also den Friedensnobelpreis!

Was das alles mit Genuss zu tun hat? Gar nichts, im Gegenteil: Es ist zum Kotzen! Aber autistisches Gourmet-Gefasel ist eh nicht mein Ding und gerne gönne ich mir einen derartigen „Ausreißer“ auf meinem Blog

 

Ein Gedanke zu “Heute kein Genuss

  1. Solange Du den italienischen Hartkäse nicht auf den portugiesischen Bacalhau streuen willst, ist das alles ganz in Ordnung. Ansonsten: Am 14.November ist in Portugal Generalstreik, möglicherweise schließen sich die spanischen, griechischen und italienischen Gewerkschaften an. Wäre doch gelacht, wenn es nicht gelingt, den Masters of (social) War doch noch kräftig in die Suppe zu spucken.

    Für den Friedensnobelpreis im kommenden Jahr hätte ich bereits einen Vorschlag: Goldman Sachs,