Ich war Händel: Kleine Flucht mit großem Chor

Manchmal liebe ich Berlin. Z.B. wenn ich wieder mal realisiere, dass diese Stadt eine Philharmonie nebst Kammermusiksaal hat, die ich in 15 Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann. Und dass dort nicht nur regelmäßig die Berliner Philharmoniker spielen, sondern auch die mit ihnen verbundene Akademie für Alte Musik, eines der besten Orchester für diese Sparte.

Gestern wurde Händel gegeben; eine Trauermusik für die 1737 verstorbene englische Königin Caroline und eine von Händels zahlreichen Oden anlässlich irgendwelcher Namenstage.

Das war mir alles relativ egal, ohnehin tendiere ich was alte Musik betrifft eher zu J.S. Bach als zu G.F. Händel. Doch die Interpretenliste machte einen Konzertbesuch unumgänglich, da das „Collegium Vocale Gent“(hier mit einem Bach-Choral) weltweit zu den – da lege ich mich fest – drei besten Chören für Alte Musik gehört. Zweimal hatte ich die Belgier bisher live erlebt, und beide Male klebte ich nach den Konzerten in der Leipziger Thomaskirche gleichermaßen beglückt und benommen auf meiner harten Kirchenbank.

Im Kammermusiksaal ist die Atmosphäre etwas kühler und distanzierter als in einer Kirche. Doch der Strahlkraft des in relativ kleiner Besetzung (24) angetretenen Chores tat das keinen Abbruch. Schwebend und vollkommen transparent bewegt sich das Collegium durch dir traurig-deklamatorischen Chorsätze, fast schwerelos der Übergang in hymnische, wuchtige Dur-Kontrapunktik zum Preisen der großen Taten der Queen, die wohl eine Art Lady Di des englischen Spätbarock gewesen sein muss. Dazu das äußerst geschmeidige und detailversessene Orchester, dem aber diesmal der allerletzte Glanz und das Feuer fehlten, den beispielsweise die Kollegen vom Freiburger Barockorchester des Öfteren versprühen.

Händel hat in seiner Heimatstadt Halle zu Recht ein Denkmal
(c) dnaw/Wikipedia

Nach der Pause vermochte auch Händels in Oratorienform verfasste Cäcilienode – ein deutlich leichtfüßigerer Stoff – zu gefallen, zumal das Orchester aus der leichten Lethargie der Trauermusik erwacht zu sein schien. Erneut begeisternde Chorsätze voller Brillanz, Kraft und Dynamik. Wenn da nicht die manchmal regelrecht schreckliche Sopranistin Klara Ek gewesen wäre, die mit für dieses Genre übertriebenen, manchmal gar verunglückten Koloraturen für ein mitunter schmerzliches akkustisches Missempfinden sorgte. Da bekommt man dann Sehnsucht nach großen Händel-Interpretinnen wie Emma Kirby oder Nuria Rial. Dennoch: Vor allem wegen des Chores ein großer Konzertabend, den das Publikum mit minutenlangen Ovationen dankte.

Auch rund 600 Kilometer entfernt gab es an diesem Abend ein Konzert in einer Philharmonie, und zwar in Köln. Das renommierte Ensemble „Concerto Köln“ bot ein Programm mit Orchesterwerken von J.S. Bach, seinem Sohn C.P.E. Bach und dazwischen kleineren Werken einiger moderner Komponisten. Solist war der iranische Cembalist Mahan Esfahani. Schon bei seiner englischsprachigen Anmoderation für das sicherlich gewöhnungsbedürftige Werk „Piano Phase“ des Minimal-Music-Pioniers Steve Reich wurde der Musiker aus dem Publikum lautstark angepöbelt („Sprechen Sie gefälligst Deutsch“) Die Aufführung des Stückes selbst musste nach wenigen Minuten abgebrochen werden, erzwungen durch lautstark johlende und pfeifende Besucher. Es hat etwas Beunruhigendes, dass die Verrohung großer Teile des Bürgertums jetzt auch in Konzertsälen angekommen ist, als Mob in Abendgarderobe.

Doch das soll kein Wasser im großen Wein sein, mit dem ich das Erlebnis des Collegium Vocale Gent vergleichen möchte.Und vielleicht ist Berlin ja wirklich anders als Köln.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.