Nein, die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahlen haben mich weder überrascht, noch schockiert. Es war erwartbar und der Trend wird sich zunächst fortsetzen, bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt könnten es über 20 Prozent werden, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf alle Fälle über zehn Prozent.
Unabhängig vom „braunen Osten“ gab und gibt es auch in der Bundesrepublik einen rassistischen bis faschistischen Bodensatz in der Gesellschaft. Der tritt mal lauter, mal leiser in Erscheinung und angesichts der so genannten Flüchtlingskrise mal wieder besonders laut. Mit der AfD hat diese Geisteshaltung eine erfolgreiche Plattform gefunden, die durch die aktuelle Flüchtlingspolitik enorm an Schwung gewonnen hat. Dazu kommt ein nur allzu berechtigtes tiefes Misstrauen gegen die „etablierten Parteien“.
In meinem Bekannten- oder gar Freundeskreis gibt es keine AfD-Unterstützer. Doch es ist davon auszugehen, dass ich tagtäglich welchen begegne. Doch wir suhlen uns in unserer moralischen Überlegenheit und unserer Intellektualität und haben uns in unseren weltanschaulichen und soziokulturullen Nischen wohlig eingerichtet. Gerade in Berlin hat man in den beliebten Altstadtkiezen wenig mit dem AfD- und Neonazi-Millieu zu tun, Hellersdorf und Marzahn besucht man schließlich nur im äußersten Notfall.
Doch „wir“ – und damit meine ich ein ziemlich großen Spektrum von mehr oder weniger radikal links, „grün-alternativ“ oder aufrecht sozialdemokratisch eingestellten Menschen bis hin zu humanistisch gesinnten Flüchtlingshelfern – haben den Abgehängten, Frustrierten, Ängstlichen und Ohnmächtigen außer Allgemeinplätzen wenig bis nichts anzubieten. Wir reden lieber über sie als mit ihnen.
Sicherlich: Es gibt einen harten Kern gefestigter völkischer Rassisten und Neonazis, vom intellektuellen bis zum praktizierenden Brandstifter. Und es gibt – nicht nur aber besonders – in einigen Städten und Gemeinden im Osten entsprechend gefestigte soziokulturelle Strukturen, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Mit Brandstiftern und faschistischen Marktschreiern kann und sollte man nicht diskutieren, sondern sie nach Möglichkeit ins Gefängnis stecken oder wenigstens gesellschaftlich ächten, also auch in Vereinen und Verbänden. Doch der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug der AfD sollte nun endlich die Erkenntnis reifen lassen, dass das bei weitem nicht ausreicht, zumal es kaum passiert.Wir müssen endlich raus aus unseren Nischen.
Die Antwort der großen etablierten Parteien (außer der LINKEN) ist ebenso einfach wie falsch. Sie wetteifern darum, den Rassisten mit immer neuen Verschärfungen des Asylrechts und einer möglichst effektiven Abschottungspolitik entgegen zu kommen – und stärken damit deren vermeintliche „Glaubwürdigkeit“ in großen Teilen der Gesellschaft. Wer einen miesen Deal mit dem autokratischen Kurdenschlächter Erdogan zum Königsweg der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik erklärt, besorgt nicht nur das Geschäft der AfD, sondern auch das der „besorgten Bürger“ von Clausnitz und Bautzen und der Rechtsterroristen in Nauen (Brandenburg). Auch in der Debatte, wieviel „uns“ die Flüchtlinge nun wirklich kosten oder ob „uns“ die Zuwanderung vielleicht sogar nützt, kann man gegen Rechtspopulisten nur verlieren.
Es ist gesellschaftlich in Deutschland einiges aus dem Ruder gelaufen und zwar schon lange vor der „Flüchtlingskrise“. Kinder- und wachsende Altersarmut, Hartz-IV-Elend, präkare Arbeitsverhältnisse, Abbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und ein teilweise marodes Bildungssystem wurden von den Herrschenden lange Zeit achselzuckend als Kollateralschäden einer im Prinzip erfolgreichen (neoliberalen) „Reformpolitik“ abgetan. Den Linken und Humanisten ist es nicht mal ansatzweise gelungen, eine wirkliche Massenbewegung dagegen auf den Weg zu bringen. Nicht nur, aber auch, weil einem großen Teil des „fortschrittlichen Bürgertums“ soziale Fragen weitgehend am Allerwertesten vorbei gehen. Und so kommt es halt zu dem bitteren politischen Treppenwitz, dass sich ausgerechnet eine rechte und im Kern neoliberale Partei wie die AfD erfolgreich als Sprachrohr „der da unten“ gegen „die da oben“ positionieren kann und dabei auch militanten völkischen Rassismus hoffähig macht.
Noch ist es nicht zu spät. Gemessen an der Wahlbeteiligung haben lediglich sechs Prozent der Hessen AfD oder noch Schlimmeres gewählt. Bei den kommenden Landtagswahlen werden es wohl mehr werden und möglicherweise für gewisse Verwerfungen im Parteiengeflecht sorgen. Das könnte auch so eine Art heilsamer Schock sein. Wirklich gefährlich wird es allerdings, wenn es uns nicht gelingt, die Frage der sozialen Verfasstheit dieser Republik wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Und zwar schnell!