Im Dezember 2012 wurde die Veranstaltungsreihe „Jazz at Berlin Philharmonic“ aus der Taufe gehoben und hat sich seitdem einen festen Platz in der Konzertlandschaft erobert. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des Kurators Siggi Loch, der auch als Impressario des Jazzlabels ACT seit mehr als zwei Jahrzehnten beweist, wie spannend und lebendig dieses Genre ist. Die alte, fruchtlose Debatte über afro-amerikanische und andere Jazz-Reinheitsgebote wird bei ACT und im Umfeld des Labels jedenfalls zu Recht NICHT geführt, denn Jazz ist schlicht Spirit und Groove.
Beides hatten die sieben Musiker, die am Dienstag im Kammermusiksaal der Philharmonie ihre „Celtic Roots“ zelebrierten, jedenfalls reichlich. Obwohl Kurator Loch bei diesem Projekt hart an die Genregrenze oder vielleicht auch darüber hinaus gegangen ist. Geboten wurden in erster Linie behutsame Arrangements traditioneller Stücke aus der irischen, schottischen und skandinavischen Folk-Tradition, dazu noch einige Songs aus der New Yorker „Urban Blues“ – Abteilung. Das ließ relativ wenig Spielraum für Improvisationen, zumal das Korsett einfacher pentatonischer Skalen als Bindeglied zwischen nordisch-neokeltischer Folkmusic und Blues selten gesprengt wurde.
Dennoch hatte die siebenköpfige „Celtic Roots“-Formation, die erst vor wenigen Tagen erstmals gemeinsam probte, jede Menge Schmankerl zu bieten. Der schottische Multiinstrumentalist Fraser Fifield brannte mit seiner Smallpipe (eine Art Dudelsack ohne Mundblasebalg) diverse Feuerwerke ab, Bandleader Knut Reiersrud (Gitarre), Ale Möller (Mandola u.a.) sowie Percussionist und Bassist Olle Linder sorgten für entsprechenden Dampf in der Folkrock-Hütte. Dazu noch knackige Fiedeln und Flöten, mal ein Saxophon und eine Trompete und vor allem die wunderbar klare und gradlinige Altstimme der norwegischen Sängerin Tuva Syvertsen sowie die Blueseinlagen von Eric Bibb – das ging ab und manchmal unter die Haut!
Für Neofolk- und Folkrockfreunde sicherlich ein ungetrübtes Vergnügen voller Déja-Vu-Erlebnisse. Denn man denkt unwillkürlich an Formationen wie Bothy Band, Planxty, Boys of the Lough, De Dannan, Tannahill Weavers oder die Moving Hearts. Für die klassische „Jazz-Cummunity“ aber wohl eher nicht der Stoff, den sie erwartet hatte. Auf alle Fälle aber ein singuläres Live-Erbenis, denn das Konzept der Reihe „Jazz at Berlin Philharmonic“ beinhaltet, die jeweilige Idee mit einer einmaligen Workhop-Formation umzusetzen, deren Mitspieler anschließend wieder in alle Winde zerstieben. Das Konzert wurde aufgezeichnet. Ob es mal als CD veröffentlicht oder im Rundfunk ausgestrahlt wird, ist derzeit noch offen.
Eine Schlussbemerkung sei erlaubt. Vor gut zwei Wochen gab es in der Kölner Philharmonie ein Konzert, bei dem der iranische Solist zunächst angepöbelt wurde, als er ein Stück auf Englisch anmoderierte. Wenig später erzwangen einige Zuschauer den Abbruch eines Werkes von Steve Reich durch lauten Johlen, Klatschen und Pfeifen (s. Artikel bei cicero). Auch Bandleader Knut Reiersrud moderierte auf Englisch und einige Stücke werden wohl nicht allen gefallen haben. Aber niemand randalierte und pöbelte. Schlimm, dass man das heutzutage erwähnenswert findet.