Während des Bachfestes entwickelt die Leipziger Innenstadt manchmal einen ganz speziellen „spirit”. Auf dem Marktplatz probt ein Chor für den Sonntagsgottestdienst, vor der Bach-Statue an der Thomaskirche singen einige Musikstudenten alte Madrigale. Im Thomascafe huscht der neue Thomaskantor vorbei und selbst die an- und abschwellenden Fahrgeräusche der Straßenbahnen auf dem hinter der Kirche liegendem Ring klingen fast wie eine chromatische Fantasie.
Zeit für jene Kleinigkeiten, die das Bachfest jenseits der großen Konzerten so schön machen. Im Café treten drei junge Thomaner auf – als Jazztrio (Klavier, Bass, Schlagzeug). Alleine das belegt, wie sehr sich das Selbstverständnis dieser kirchenmusikalischen Eliteeinrichtung mittlerweile gewandelt hat.
Doch natürlich bleiben die großen Konzerte die Höhepunkte. Das Salomon’s Knot Baroque Collective aus London pflegt eine sehr spezielle, aber keineswegs abwegige Interpretationsweise großer liturgischer Werke von Bach. Mit einem zehnköpfigen Solistensemble, das auch die Chorparts übernimmt, und einer kammermusikalischen Orchesterbesetzung widmet man sich auch harmonisch schier überbordenden Werken wie der Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“, mit der sich Bach 1720 als Organist bei der Hamburger Jacobikirche beworben hatte, allerdings erfolglos.
Ein Meisterwerk, das alle Facetten des seinerzeitigen kompositorischen Repertoires von Bach vereint: Ausladende Motetten, an Fugen erinnernde Instrumentalsätze, tonmalerische Arien und nicht zuletzt ein Duett, das auch noch 100 Jahre später jede Oper deutlich aufgewertet hätte.
Die Briten behandeln das Werk mit gebotener Ernsthaftigkeit, aber dennoch faszinierender Leichtigkeit. Das kleine Ensemble wirkt wie eine eingeschworene Bande hochenergetischer Musiker. Man arbeitet ohne Dirigat und ohne Notenpulte, was in diesem Falle die Ausdruckskraft und das Zusammenspiel noch deutlich befördert. Ja, es klingt im Sinne Alter Musik „very british“, aber das hätte den ollen Bach bestimmt nicht gestört, ganz im Gegenteil.
Das gilt natürlich auch für Jazzadaptionen Bachscher Werke, die der schwedische Funk-Veteran Nils Landgren mit seiner Band anschließend auf dem Marktplatz darbot, bevor er sich in die gewohnten swingenden und groovenden Gefilde verabschiedete. Jedenfalls ein angemessen luftiger, fröhlicher Ausklang eines erlebnisreichen Tages auf dem Leipziger Bachfest.