Endlich: Wein (nicht nur) für Anarchisten

Ich habe wohl noch nie einen derartig politisch korrekten Wein im Glas gehabt. Und das nicht nur, weil der „Verano Acrata“ konsequent ökologisch erzeugt wird, wozu auch manuelle Weinbergspflege und Lese sowie der ausschließliche Einsatz von Pflügen mit Pferden, Maultieren oder Eseln gehören. Aber wie angedeutet: Das könnten ein spanischer Faschist oder ein deutscher Winzer, der mit der AfD sympathisiert, auch hinbekommen. Doch dieser Wein wird von einem kleinen Kollektivbetrieb im Ribera Del Duero produziert, der zu einem Netzwerk von Agrarbetrieben gehört, das maßgeblich von der traditionsreichen anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNTaufgebaut wurde. Da kommt dann aus dem Glas nicht nur ein intensiver Duft von getrockneten Kräutern sowie roten und schwarzen Beeren (anarcho-syndikalistisch eben), sondern auch der lange Atem des spanischen Bürgerkriegs, des antifaschistischen Widerstands gegen Franco und der revolutionären spanischen Landarbeiterbewegung. Vielleicht auch, weil die Rebstöcke des Betriebs teilweise um die 100 Jahre alt sind.

Der Wein zum zum spanischen Bürgerkrieg. Schmecken tut er auch

Nun interessieren mich Lebens- und Genussmittel mit politisch korrektem Background nur dann, wenn sie schmecken (was nicht immer der Fall ist). Doch dieser Wein schmeckt nicht nur richtig gut, er ist auch ein ausgesprochener Individualist, weitab vom holzlastigen, alkoholstarken Duero-Mainstream. Tempranillo dominiert, aber auch Garnacha und einige wenig bekannte autochthone Rebsorten wie z.B. Pirules tragen ihren Teil bei. Spontan vergoren und unfiltriert kommt der Wein kurz ins alte, große Holzfass und dann noch recht jung auf die Flasche, wir reden hier vom Jahrgang 2015. Die Tannine sind dennoch bereits recht mild, die Säure ist spürbar und sorgt für einen frischen Eindruck, bleibt aber im Hintergrund und umspielt die feine Beerenfrucht, die im Mund von ein wenig Dörrobst und Backpflaume ergänzt wird. Mit 13 Vol% bleibt es ein leichter, animierender Genuss. Größeres Lagerpotenzial würde ich ihm nicht attestieren, er überzeugt so jung und frisch, wie er ist.

Weinverkostung in einer anarcho-syndikalistischen Kaffeerösterei. So muss es sein

Wie komme ich auf so einen Wein? Weil ich nicht nur in der Welt von Wein-PR-Agenturen, Verbänden, Lifestylemagazinen und renommierten Winzern lebe, sondern z.B. auch Hinweise von alten Kumpels aus besagter anarcho-syndikalistischer Szene (zu der ich nie gehörte) bekomme, die in Deutschland vor allem durch die Freie Arbeiterunion (FAU) repräsentiert wird. In deren Umfeld ist ebenfalls ein bislang noch sehr kleines Netzwerk von Kollektivbetrieben entstanden, die Union Coop. Und in einem dieser Betriebe, der schwer zu findenden, in einem 2. Weddinger Hinterhof beheimateten Kaffeerösterei „Flying Roasters“ (sehr zu empfehlen!) fand eine Verkostung des Weines statt. Der „Verano Acrata tinto 2015“ wird fortan dort und in einigen anderen Berliner Szene-Locations ausgeschenkt oder flaschenweise verkauft, für 8,50 Euro pro Flasche. Ist er wert.

 

 

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.