Wenn es noch eines kuratorischen Meisterstücks des Jazzfest-Leiters Roger Williams bedurft hätte – Sonnabend wurde es abgeliefert. Alle Bekenntnisse zu Konversation, Austausch und Vielfalt sind schließlich Schall und Rauch – entscheidend ist auf der Bühne. Die betraten im Festspielhaus zunächst Angelika Niescier (Altsaxophon) und Florian Weber (Piano) mit ihren ausgebufften New Yorker Sidemen an Schlagzeug, Bass und Trompete. Ein herrlich unangestrengtes Statement zum Thema zeitgenössischer Jazz, weit jenseits von easy listening und der oftmals arg bemühten „jung und wild“-Attitüde. Beschwingt geht es durch einige Balladen und Midtemponummern, geprägt durch klug gesetzte harmonische Fortschreibungen am Piano, einer im angenehmen Sinne leicht scheppernden Rhythmusgruppe und mitunter fast schon hippiesken Improvisationen, zu denen neben Niescier auch der großartige Trompeter Ralph Alessi viel Substanz beisteuert. Immer leichtfüßig und transparent. Fast so etwas wie ein Gegenentwurf zum Eröffnungskonzert, wo das das Ensemble von Julia Hülsmann in genau dieser Besetzung drögen Prosecco-Jazz darbot. Den Namen Angelika Niescier sollte man sich jedenfalls merken.
Kein Berlin Jazzfest ohne Bigband und nicht zum ersten Mal füllte diese Rolle das Jazzorchester des Hessischen Rundfunks aus. Und erneut stellte Arrangeur und Leiter Jim McNeely seine herausragende Fähigkeit unter Beweis,, einen derart massiven Klangkörper (14 Bläser) in die Ausgestaltung eher minimalistischer Werke einzubringen.
Der Schweizer Komponist und Pianist Nik Bärtsch und sein „Zen-Funk“- Quartett Nonin waren diesmal die Protagonisten. Es begann mit minimalistischen, seriellen Phrasen, deren kaum merklichen Verschiebungen schnell in eine Art Trance-Zustand führen – sofern man sich als Zuhörer darauf einlässt. Behutsam wurde dies mit Bläsersätzen gefüllt, um dann wieder sphärisch zu verklingen. Dieses Konzept durchzog das gesamte Konzert und gewann dabei beständig an Kraft. Die Bläsersätze differenzieren sich weiter aus, ohne die eher dunkle Mollpentanik der sparsamen Themen zu sprengen. Plötzlich schleicht sich Polyrhyrhmik in das Geflecht, ganz zart, aber so, dass sie unter die Haut geht, und schließlich darf eine zunächst elegische, dann zupackende Trompete á la Miles Davis dies alles wieder suflösen. Und dann kommt noch Martin Scales, der großartige Gitarrist der BigBand, der als eine Art John-Scofield-Wiedergänger mit rockigen, modalen Skalen eine neue Sphäre dieser Musik erschließt. Das hat Kraft, das hat Tiefe, das hat Groove, das hat innere Ruhe. Das ist Suche nach dem Wesen der Dinge in der Musik. Es ist zu hoffen, dass diese großartige Begegnung von Nik Bärtsch und seinem Ronin-Quartett mit der hr-BigBand in Form einer CD der Nachwelt erhalten wird.
Beim Abschluss dieses denkwürdigen Festivaltages ist dann alles wieder ganz anders. Der 74 jährige Schlagzeuger Jack DeJonettte, hat so ziemlich alles Relevante getrommelt, was es in den vergangenen Jahrzehnten zu trommeln gab. Wie außer Elvin Jones niemand vor ihm (und die wenigstens nach ihm) hat er die Rolle des Schlagzeugers vom Status eines rhythmischen Begleitbüttels emanzipiert. DeJonette trommelt Geschichten, denkt in Harmonien und Melodien und ist zudem ein begnadeter Improvisator. Nach Berlin kam DeJonette mit einer Art Generationen-Projekt, denn er hatte bereits mit den Vätern von Ravi Coltrane (sax) und Matt Garrison (E-Bass) zusammen gespielt.
Doch wer ihn immer noch in seinen Phasen als genialer Begleiter von Miles Dasis und John Coltrane verortet und so was ähnliches wie ein irgendwie klassisches Jazztrio erwartet hatte, wird sich verwundert die Augen gerieben haben. Garrison entfacht mit seinem E-Bass nebst allerlei elektronischen Beiwerk ein wahres Harmonie- und Soundgewitter, das jeder Metal-Band zur Ehre gereichen würde. Er lässt es bisweilen ordentlich funky knacken, ist sich aber nicht zu schade für ein paar straighte Walking Bass-Linien- wenn es denn angebracht ist. Ravi Coltrane hat einen eindringlichen, manchmal verträumten, fast klagenden Ton, gönnt sich aber immer wieder freie harte Attacken. Und wie ein Fels in der Brandung Altmeister Jack DeJonette, aufmerksam zuhörend, beobachtend, eingreifend, lenkend..
Es ist schlicht ein Feuerwerk, das dieses Trio abbrennt. Hochenergetisch, explosiv, manchmal ausufernd aber immer strukturiert. Möglicherweise zu harter Stoff für einige Besucher, wie die sich lichtenden Reihen nahelegen. Dabei ist genau das, was hier auf der Bühne passiert, die von Williams viel beschworene Konversation oder auch im besten Sinne freie Musik ohne jeden Anflug von Beliebigkeit.
Was der heutige Abschlusstag des Berliner Jazzfestes noch so zu bieten hat, wird man sehen. Doch dieser Sonnabend war ein Glanzlicht, das man so schnell nicht vergessen wird.