Heute so ein Tag, an dem es eigentlich wenig Gründe gibt, um nicht sofort anzufangen, zielstrebig zu trinken. Aber da ich Ostern 2017 bereits am Sonnabend rechtskräftig abgesagt habe, und daher den heutigen Montag als normalen Arbeitstag gestalte, sollte ich damit noch ein paar Stunden warten.
Es sind nicht die Regenschauer und die fiese Osterkälte, die mir gerade die Stimmung verhageln. Es ist noch nicht einmal der blamable Auftritt von Schalke 04 beim Tabellenletzten Darmstadt. Selbst das – möglicherweise gefälschte – Ergebnis des Referendums in der Türkei haut mich nicht von Hocker, da es zu erwarten war.
Aber dass 51,3 Prozent der in Berlin wählenden türkischen Staatsbürger einem faschistischen Führer und dessen Ermächtigungsgesetz seine Zustimmung gaben, macht mich ratlos und wütend. Dabei haben wir in Berlin ja noch „Glück“ gehabt. In Essen waren es (bei sehr hoher Wahlbeteiligung) 75,9%, in Düsseldorf 70,9%, in Karlsruhe 66,9% und in Stuttgart 66,2%. Geht man davon aus, dass Kurden und Aleviten mehr oder weniger geschlossen dagegen gestimmt haben, bekommen diese Zahlen noch deutlich mehr Wucht.
Doch zurück nach Berlin. Es sind eben nicht nur die viel beschworenen marginalisierten und diskriminierten türkischen Zuwanderer und deren 2. und 3. Generation, die dem Faschismus ihre Stimme gaben. Zu den Propagandisten der Erdogan-Kampagne gehörten wohlhabende Unternehmer, erfolgreiche Sportler, junge Frauen mit Hochschulabschluss. Eine wichtige Rolle spielt Ditib, mit über 900 Moscheegemeinden der größte islamische Dachverband für in Deutschland lebende Türken, der direkt von der türkischen Regierung finanziert wird und auch die Imame entsendet. Dazu kommen noch einschlägig bekannte radikalislamistische Dachverbände wie Milli Görüs.
Das alles ist nicht neu, hat durch das Referendum aber eine neue Dimension bekommen. Man wird misstrauisch, wenn man zum türkischen Supermarkt, zum Gemüsehändler, zum Fleischer oder zum Zeitungsladen geht. Man würde gerne wissen, wie die vielen Türken ticken, die bei Heimspielen des Regionalligisten BAK 07 im Moabiter Poststadion sitzen. Man bekommt einen anderen Blick auf die vielen Kopftuch oder Hijab tragenden Frauen, die den Alltag auf der Turmstraße ( der größten Einkaufsstraße Moabits) stark mitprägen.
Ich will mich nicht damit abfinden, dass ein großer Teil der türkischen Community in Berlin und anderswo für ihr Herkunftsland – bzw. das ihrer Eltern und Großeltern – die offizielle Einführung einer autokratischen, faschistischen Herrschaft befürwortet. Dass sie ihre Stimme für mörderischen Staatsterror gegen Kurden, Massenverhaftungen Oppositioneller (darunter auch viele gewählte Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister), die Abschaffung der Pressefreiheit und die Ausschaltung der unabhängigen Justiz abgeben.
Ich will die hier auch nicht haben. Man sollte sie ermuntern, heim in ihr (noch virtuelles) osmanischen Reich zu ihrem geliebten faschistischen Sultan und seinen Schergen zu gehen. Man sollte Erdogans Partei und deren Unter- und Tarnorganisationen sowie weitere faschistische türkische Vereinigungen in Deutschland verbieten. Man sollte radikal unterbinden, dass der türkische Staat das Geschehen in vielen islamischen Gemeinden unmittelbar bestimmt. Man sollte nicht nur die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU beenden und die damit verbundenen finanziellen Leistungen einstellen, sondern auch jegliche militärische Kooperation mit dem Erdogan-Regime. Im Gegenzug sollte man politisch verfolgten Türken und Kurden in ihrem Heimatland signalisieren, dass sie in Deutschland willkommen sind und ihre Asylanträge wohlwollend geprüft werden.
Natürlich müssen wir dann auch unsere Hausaufgaben machen, also jeglicher Diskriminierung von Menschen auf Grund ihrer Herkunft und ihres Aussehens konsequent entgegentreten. Und auch jedem Muslim freundlich aber bestimmt verdeutlichen, dass in Deutschland zwar Religionsfreiheit herrscht, aber auch strikte Trennung von Kirche und Staat, was jeglichen Anspruch auf eine gegenüber den Gesetzen übergeordnete Gültigkeit religiöser Prinzipien ausschließt. Doch dabei stehen uns Erdogan-Anhänger und ähnliches Gesindel genauso im Weg, wie „biodeutsche“ Rassisten.
Leider wird das alles nicht passieren. Und was gibt es nun zu trinken? Riesling, was sonst, wenn kein Spargel im Haus ist. Dann würde es natürlich fränkischen Silvaner geben.