So geht Monteverdi

Wer wie die Kuratoren des Berliner Musikfestes stets die großen Linien und Zeiträume im Blick hat, kommt an Claudio Monteverdi nicht vorbei. Wie kein anderer Komponist seiner Epoche verkörpert der 1567 in Cremona geborene Komponist den Übergang von der Renaissance zum Barock. Besonders seine geistlichen und weltlichen Vokalwerke waren musikalische Quantensprünge, die rund 100 Jahre später auch den nächsten großen Innovator der Musikgeschichte, Johann Sebastian Bach, inspirierten.

Die ungewöhnliche Form eines Doppelkonzerts in zwei verschiedenen Räumlichkeiten sollte am Wochenende zusätzlich das Verständnis dieser Musik schärfen. Zum einen die streng polyphone Messe „In illo tempore“ mit sakraler, fast mystischer Wucht in der St.-Hedwigs-Kathedrale. Und anschließend die mit ein paar Instrumentalsätzen von Zeitgenossen aufgelockerte „Vespro della Beata Vergine“ (Marienvesper) in Berlins neuem Konzert-Kleinod, dem Pierre-Boulez-Saal.

Musikpädagogisch ist das sicherlich wertvoll, doch Spaß macht Musik in der Kathedrale nicht. Schon die Monteverdis Oper „Orfeo“ entnommene Eingangsfanfare verliert sich aufgrund der enormen Hallzeit in dem Kuppelbau und gerinnt zu einem schwer genießbaren Klangbrei. Das Ohr kapituliert alsbald beim Bemühen um differenzierte Wahrnehmung der fein verwobenen Chorstimmen und der instrumentalen Begleitung. Es schaltet auf Durchzug und freut sich, wenn es vorbei ist.

Umso eindrucksvoller dann die Fortsetzung um die Ecke im Boulez-Saal, der offensichtlich ein selten zu erlebendes Maß an klanglicher Präzision und Klarheit ermöglicht. Mit federnden, fast schon tänzelnden Bewegungen führt Justin Doyle den RIAS-Kammerchor und die Solisten durch die Marienvesper, die eher eine Sammlung von Psalmen und kleinen vocalen Concertos als ein in sich geschlossenes Werk darstellt und schließlich in ein betörendes, eindrucksvolles Magnificat mündet.

Geboten wird mehr als „nur“ ein Konzert, sondern eine Art Klanginstallation. Die Gesangssolisten agieren meistens abseits der Bühne auf dem halbrunden Gang oberhalb des Parketts und vermitteln einen Klangeindruck wie im heimischen Wohnzimmer. Dabei begeistern die beiden Sopranistinnen Dorothee Mields und Hannah Morrison mit ihrem glockenhellen, schwerelosen Stimmen ebenso wie die beiden Tenöre Thomas Hobbs und Andrew Staples, die sich mit Kraft und Klarheit wohltuend von jenen unzähligen Knödelbarden abheben. mit denen Alte Musik leider viel zu oft besetzt wird. Doch nicht nur die Solisten, sondern auch der Chor widersteht der Versuchung, Monteverdis Werk mit pseudo-barocker Wucht zu erschlagen und stellt die Transparenz der mit nahezu überschäumendem musikalischen Temperament gesetzten Stimmen in den Mittelpunkt. Fast mag man so etwas wie eine „englische Handschrift“ erkennen, die Justin Doyle, der neue Chefdirigent und künstlerische Leiter des RIAS-Kammerchors, in diese Aufführung eingebracht hat. Dass mit der Capella de la Torre ausgewiesene Spezialisten für Alte Musik auf historischen Instrumenten für Begleitung und Umrahmung der Marienvesper sorgten, war dann noch ein weiteres begeisterndes Detail dieses großen Konzerts.

Mir der neuen Konzertstätte und dem neuen Chorleiter hat die Berliner Kulturszene jedenfalls beträchtlich gewonnen. Man bekommt gewaltigen Appetit auf mehr. Und das kann man ja nun wahrlich nicht von allen „Innovationen“ der Berliner Kulturpolitik behaupten.

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