Deutschland hat gewählt, und überraschend ist das Ergebnis nun wirklich nicht. Die großen Verluste der SPD waren ebenso absehbar, wie das Ergebnis der AfD. Erstaunlich waren eher das relativ gute Abschneiden der Grünen und das dramatische Abschmieren der CSU in Bayern.
Wie dem auch sei: Die Wahl spiegelt die gesellschaftliche Verhältnisse recht anschaulich wieder. Ein nationalkonservatives, antimodernes Lager nebst einem neofaschistischen Rand gab es in der Bundesrepublik zu jeder Zeit, auch in der Größenordnung des jetzigen AfD-Ergebnisses. Da vor allem die CDU/CSU ihre Bindungskraft für dieses Lager teilweise verloren hat, konnte sich eine Partei wie die AfD herausbilden und stabiliseren, wobei die Flüchtlingspolitik als Katalysator wirkte.Abgesehen von jenen AfD-Wählern, die sich bewusst für rassistische und neofaschistische Positionen entschieden haben, ist diese Partei vor allem eine Projektionsfläche für Unzufriedene verschiedener Couleur. Diese eher heterogene Masse – über fünf Millionen Wähler – zu mobilisieren war umso einfacher, da es bei dieser Wahl keinen erkennbaren fortschrittlichen Gegenentwurf zur herrschenden Politik und zur Agonie des „Merkel-Systems“ gab. Die SPD ist Teil dieses Systems und hat sich nicht einmal ansatzweise von den „Agenda 2010“-Fesseln befreit. Die Grünen dienten sich frühzeitig als Juniorpartner einer CDU-geführten Regierung an. Drängende soziale Fragen wie Kinder- und Altersarmut oder die immer dramatischere Lage auf dem Wohnungsmarkt wurden – wenn überhaupt – nur halbherzig und im Sprechblasenformat thematisiert. Die LINKE hat zu diesen Fragen zwar relativ klare programmatische Aussagen formuliert, wird aber -vor allem im Osten- auch als Teil einer abgehobenen politischen Klasse wahrgenommen. Zudem haben maßgebliche Teile der Partei quasi bis kurz vor Toresschluss an der Wahnidee eines „rot-rot-grünen Reformlagers“ festgehalten. Große Teile der Linken (also nicht nur der gleichnamigen Partei) haben bis heute a) nicht begriffen, dass es dieses Lager als mehrheitsfähige Option nicht gibt und b) nicht begriffen, dass die AfD und ihre Anhänger eben nicht nur ein monolithischer Haufen von ideologisch gefestigten Rassisten und Neonazis sind. Aber genau diese in linken Kreisen weit verbreitete Weltsicht hat dazu geführt, dass man eine Auseinandersetzung mit diesen Strömungen als unnütz und sinnlos einstuft bzw. auf die Ebene des „antifaschistischen Protestes“ reduziert.Willkommen in der Filterblase
FCK FDP
Auffällig an vielen linken Reaktionen auf das Wahlergebnis ist, dass zwar einhelliges Entsetzen über das Abschneiden der AfD herrscht, aber kaum jemand das zweistellige Ergebnis der FDP thematisiert. Denn die hat sich als ausgesprochen aggressive neoliberale und sozialdarwinistische Strömung neu formiert, deren Anliegen für die soziale und politische Verfasstheit der Gesellschaft ähnlich verheerend sind, wie die der AfD. Auch das ist maßgeblich der abnehmenden Bindungskraft der „sozialdemokratisierten“ Merkel-CDUgeschuldet.
Die sich anbahnende „Jamaika-Koalition“ ist Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Einer Mehrheit der Deutschen geht es ökonomisch relativ gut. Sie sind von den sozialen Verwerfungen nicht betroffen, weder von Armut, noch von prekären Arbeitsverhältnissen, noch von Wohnungsnot oder maroden Schulen.Sie wollen vor allem Besitzstände verteidigen und möglichst wenig Veränderung in ihrer individuellen Lebensführung. Sie stellen das kapitalistische System weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene in Frage, da sie davon profitieren. Auch für den nicht reaktionären, rassistischen und sozialdarwinistischen Teil dieser Mehrheit sind Armut und Flüchtlingselend eher karitativ zu lösende Fragen. Sie möchten vielleicht ein bisschen spenden, wenn genug für sie übrig bleib,aber keinesfalls die Verteilung von Ressourcen und Vermögen prinzipiell ändern.
Das heißt nicht, dass es innerhalb dieser Mehrheit nicht auch erhebliche Differenzen gibt,u.a. in Umwelt-, Bürgerrechts- und Genderangelegenheiten. Diese haben aber nicht das Potenzial, diese Mehrheit nachhaltig zu sprengen, zumal die Merkel-CDU in diesen Fragen eine erstaunliche Flexibilität an den Tag gelegt hat, siehe Atomausstieg und Ehe für Alle.
Auch die Anhänger der AfD gehören zu großen Teilen zu dieser gesellschaftlichen Mehrheit und setzen auf materielle und lebenskulturelle Besitzstandswahrung, wenn auch mit teilweise deutlich radikaleren Rezepten, übersteigertem Nationalismus und einer diffusen Antimoderne. Der derzeit in linken Kreisen gerne benutzte Vergleich mit dem Erstarken der NSDAP ist unhistorisch und in weiten Teilen absurd. Zumal das deutsche Kapital mit diesem Zeugs derzeit wenig anfangen kann.
Wer gegen wen?
Derzeit in aller Munde ist der „Schulterschluss aller Demokraten“ gegen die AfD. Eine eher gruselige Vorstellung, zusammen mit Agenda-Sozen, Flüchtlingsdealern,Waffenexporteuren, Neoliberalen, Umweltverbrechern, Rentenmarodeuren, Arbeitsmarktprekarisierern und global agierenden Ausbeutern in einer Reihe gegen die AfD und ihre Anhänger für „gemeinsame Werte“ zu streiten.
Ich gestehe allerdings ein, dass mich die Entwicklung im Osten relativ ratlos macht. Denn da scheint sich so etwas wie eine soziokulturelle Hegemonie der AfD zu entwickeln. Stärkste Partei in Sachsen und zweitstärkste in den anderen Ost-Bundesländern u8nd in Ostberlin ist eine deutliche Ansage. Da stellt sich die Frage von demokratischen Bündnissen sicherlich anders.
Doch auch wenn man die AfD und ihre teilweise offen rassistische und neofaschistische Rhetorik zu Recht zutiefst verabscheut, sollte man sich den Blick für die zentralen gesellschaftlichen Frontlinien nicht vollends trüben lassen. Wenn es um den Aufbau einer emanzipatorischen, radikaldemokratischen und sozialen gesellschaftlichen Gegenmacht geht, bringt es herzlich wenig, sich über Gebühr am Popanz AfD abzuarbeiten. Es ist allerdings verdammt bequem.
Dazu ein paar Beispiele. Die AfD will alleinerziehende Mütter gesellschaftlich diskriminieren.Genau das tun besagte „Demokraten“ schon seit Jahrzehnten,und zwar durch materielle Fakten und nicht mit Parolen. Die AfD will den Zuzug von Flüchtlingen radikal begrenzen. Das ist mittlerweile Konsens bei allen Parteien, mit Ausnahme von Teilen der LINKEN. Doch die aus dieser Richtung zu vernehmende Forderung nach „offenen Grenzen und Bleiberecht für Alle“ -bisweilen auch verknüpft mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1050 Euro für alle hier lebenden Menschen- erscheint -vorsichtig formuliert – nur sehr wenig realitätstauglich.
Langweilig werden die kommenden Monate und Jahre sicherlich nicht. Schon die Koalitionsverhandlungen und die Regierungsbildung versprechen großes Kino. Lustig werden die kommenden Jahre allerdings auch nicht, denn der politischen Neujustierung des herrschenden gesellschaftlichen Blocks steht keine handlungsfähige gesellschaftliche Gegenmacht gegenüber. Darüber sollte jetzt vor allem geredet werden.