Michael Wollnys magische Wanderungen

Wenn ein Jazzkonzert seit Wochen ausverkauft ist und sich am Abend noch lange Schlangen vergeblich nach Karten suchender Musikfreunde bilden, dann muss es sich um ein ganz besonderes Ereigbis handeln. Wobei derartige Vorschusslorbeeren wahrlich nicht immer ein Indikator für die tatsächliche Erlebnisqualität sind.

Am Freitag im Festspielhaus allerdings schon. Denn was Michael Wollny bei einem seiner seltenen Solokonzerte darbot, bleibt lange haften. Von der ersten im Korpus des Flügels gezupften Tönen bis zur Zugabe mit einem Werk eines finnischen Komponisten nimmt der bekennende Roamtiker Wollny seine Hörer mit auf eine Klangreise durch seinen schier unerschöpflichen Kosmos. Epochen und Stile spielen für Wollny, der sich nach seinen Debütalben Anfang des Jahrtausends inzwischen zum wohl wichtigsten europäischen Jazzpianisten entwickelt hat, anscheinend keine Rolle mehr. Gleich Perlenschnüren flirren schwerelose Skalen über zweitlose Harmonien und entladen sich bisweilen in mächtigen Klangewittern oder münden sphärischen Annäherungen an andere Welten. Wollnys Musik wird in solchen Momenten zum Gegenstück zum Stummfilm. Der bietet Bilder ohne Ton, bei ihm gibt es Filme ohne Bilder, außer denen im Kopf. Man war traurig und fast entsetzt, dass diese faszinierende Reise bereits nach einer Stunde beendet war. Und man darf froh sein, daran teilgenommen zu haben.

Nach so einem Erlebnis ist man für einige Zeit kaum noch zu erschüttern. Auch nicht von dem nach der Pause folgenden Auftritt des Sextetts des im Programmheft als „einer der herausregenden Jazzmusiker des 21. Jahrhunderts“ angepriesenen Tromperters Ambrose Akinmusire. Eigentlich sprach alles für ein gelungenes Konzert. Die Band ist hochkrätig besetzt, unter anderem mit Gerald Clayton am Piano und Joe Sanders am Bass, zwei mit allen Wassern gewaschene Säulen des zeitgenössischen Jazz, Auch die Idee des Werks leuchtete ein. Das Hauptstück gruppierte sich um Tonaufnahmen einer afroamerikanischen Gefangenen im Staatsgefängnis von Missisippi aus dem Jahr 1939, die dort tmit raurig.trotzigem Blues zuhören ist. Umso enttäuschender, dass mAkinmusire und seine Mitstreiter daraus nicht mehr als gespflegte Langeweile machten. Eine uninspirierte Darbietung, voller klischeehafter Versatzstücke aus der Blues- und Jazzgeschichte.Aber das Glücksgefühl über das Wollny-Erlebnis hätte an diesem Abend nicht einmal die untentiertierte Jugendabteilung des Fanfarenzuges der Freiwilligen Feuerwehr von Wanne-Eickel trüben können.

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