Am Wochenende ist Wolfgang Dauner gestorben, einer der bedeutendsten deutschen Jazzmusiker des vergangenen Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang wurde – wie bei Nachrufen üblich – viel Unfug geschrieben. Ein paar Dinge habe ich jetzt in „Neues Deutschland“ gerade gerückt. Da dort nur für Abonnenten abrufbar, habe ich den Artikel in meinen Blog gestellt.
Stets am Massengeschmack vorbei: Zum Tod des Jazz- und Jazzrockmusikers Wolfgang Dauner
- Von Rainer Balcerowiak
Es gehört zur Tragik des Kulturbetriebs, dass Künstler, die während ihres Lebens ein Nischendasein fristeten, nach ihrem Tod zur Lichtgestalt stilisiert werden. Für zeitgenössische deutsche Musiker aus den Sparten Avantgarde und Jazz ist dieses Schicksal nahezu unausweichlich. Und so schaffte es auch Wolfgang Dauner, der am vergangenen Freitag im Alter von 85 Jahren nach langer Krankheit in seiner Heimatstadt Stuttgart gestorben ist, wohl erstmals in die Prime-Time-Ausgaben von »Tagesschau« und »Heute-Journal« und in die großen Boulevardmedien, wo er unisono als »Pionier des deutschen Jazz« gepriesen wurde.
In der Tat hat Dauner, der weitgehend autodidaktisch in seine Rolle als Jazzmusiker hineinwuchs, einiges vorzuweisen. Frühzeitig lernte er, sich in den einigermaßen komfortablen Nischen einzurichten, die der bundesdeutsche Kulturbetrieb für eloquente Vertreter der Avantgarde bereithält: Kompositionsaufträge, Preise, Lehraufträge, subventionierte Festivals und Tourneen. Das schuf Freiräume für wohlkalkulierte, zeitgeistaffine Provokationen, vom Auftritt mit Mao-Bibeln 1968 auf dem Frankfurter Jazzfest über Konzerte mit nackten Begleitmusikern bis zum Abfackeln eines Steinway-Flügels auf offener Bühne. Auch mit einer Komposition für die altehrwürdigen Donaueschinger Musiktage, bei deren Uraufführung Hunderte Pingpong-Bälle in den Saal geblasen wurden, konnte man seinerzeit noch Aufmerksamkeit erregen.
Vor allem war Dauner aber ein begnadeter Netzwerker, der sich intensiv mit den internationalen Schnittstellen zwischen Avantgarde und dem, was man Jazz nennt, beschäftigte. Daraus entstanden musikalische Projekte, die zumindest für deutsche Verhältnisse ausgesprochen innovativ waren. Auch hämmerte er sich zusammen mit Freejazz-Altmeistern wie Peter Brötzmann, mit dem er wahnwitzige Klangkonvolute erzeugte, die Finger am Piano wund, doch die entscheidende Duftmarke, die Dauner setzen konnte, war 1977 die Gründung des United Jazz + Rockensembles (UJRE). Darin versammelte er nicht nur die Creme des deutschen Jazz, unter anderem Albert Mangelsdorff (Posaune), Eberhard Weber (Bass), Volker Kriegel (Gitarre) und Manfred Schoof (Trompete), sondern auch internationale Größen wie den Jazzrock-Drummer Jon Hiseman, die Saxofonistin Barbara Thompson und den »Weltmusiker« Charlie Mariano. Als Fundament für diese Band der Bandleader wurde maßgeblich von Dauner mit »Mood Records« eine eigene Plattenfirma gegründet, die zeitweilig die wichtigste deutsche Produktionsstätte für zeitgenössischen europäischen Jazz wurde. Als exklusiver Vertriebspartner konnte der legendäre Frankfurter Versandhändler »Zweitausendeins« gewonnen werden. Für Dauner bot das auch Raum für diverse andere Projekte als Solopianist und in intimen Duo- und Trioformationen sowie für Filmmusiken.
Bis zu seiner Auflösung 2002 groovte sich das UJRE als deutsches Referenzprojekt in der Sparte Jazzrock durch die kontinentalen Clubs, Hallen und Festivals und produzierte insgesamt 16 Schallplatten, die allerdings von zunehmender Redundanz geprägt waren. Zwar galt das UJRE für deutsche Verhältnisse als »revolutionär«, doch im globalen Kontext war das bereits bei seiner Gründung kalter Kaffee, denn in den USA hatten sich bereits 1970 Musiker aus dem Umfeld von Miles Davis aufgemacht, um unter dem Namen Weather Report diverse Genregrenzen einzureißen.
Allmählich wuchs Dauner in die Rolle eines Elder Statesman des hiesigen Jazz hinein, als freundlicher, gesetzter, altersmilder Freak mit dem langen Zopf als Markenzeichen und stets in der Nachwuchsförderung engagiert. Auszeichnungen für sein Lebenswerk gab es reichlich, vom deutschen Jazzpreis über die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg bis hin zum Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, das er 2005 erhielt. Und natürlich wurde sein Leben und Schaffen auch in einer Biografie gewürdigt und verfilmt.
Dauner war zur geachteten Institution geworden, doch die Musik spielte inzwischen woanders. Ohnehin gehört es zu den großen Missverständnissen der Rezeption seines Schaffens, ihn – wie derzeit üblich – als »wichtigsten deutschen Jazzpianisten« zu preisen. Denn am Klavier blieb er oftmals merkwürdig blass und verlor sich mitunter in recht blutleeren elegischen Ausflügen. Da haben andere deutlich mehr musikalische Aufgeschlossenheit entwickelt und verfügen auch über spieltechnisch bessere Fähigkeiten, wie zum Beispiel der unverwüstliche Altmeister Joachim Kühn und der inzwischen gar nicht mehr so »junge Wilde« Michael Wollny.
Das alles kann Dauners Bedeutung für den Jazz in Deutschland nicht schmälern. Vor allem mit dem UJRE und dem »Mood«-Label hat er der deutschen Jazzszene zu mehr Selbstbewusstsein und auch zu größerer Verbreitung verholfen, ohne sich opportunistisch am Massengeschmack anzubiedern. Er war einer der prägenden Akteure einer Ära, die in den späten 60ern begann und im neuen Jahrtausend allmählich auslief. Das können nur wenige von sich behaupten.