Allmählich stirbt sie aus, die gute, alte Eckkneipe. Das gilt besonders für die begehrten innerstädtischen Aktstadtkieze. Wo früher Männer nach Feierabend ihr Bier tranken und über Fußball, Frauen und Politik diskutierten, sind heute mehr oder weniger schicke Szene-Bars oder Cafés. Das Rauchverbot hat den Oasen urbaner Gemütlichkeit ebenso zugesetzt, wie die Billigbier-Selbstversorgermentalität und die veränderten Kommunikationsgewohnheiten. Besonders bei jüngeren Menschen findet das klassische Thekengespräch heute auf Twitter oder Facebook statt. Die meisten verbliebenen Etablissements verbreiten nicht selten eine bedrückende Atmosphäre von Prekarisierung und sozialer Deprivation.
Doch es gibt sie noch: Leuchttürme städtischer Alltagskultur mit schnodderig-herzlichen Wirten, gut gezapftem preiswerten Fassbier und einem Stammpublikum, welches wie ein lebender Mikrozensus der Anwohner wirkt. In meiner Eckkneipe trifft zum Feierabendbier der Malocher auf den Pensionär, der BZ-Leser auf den Smartphone-User, der Minijobber auf den Gutverdiener, die Zicke auf die Gutmütige. Hier wird gestritten und gelacht, manchmal auf Ausländer geschimpft, manchmal die ganze Politikerblase zum Teufel gewünscht und manchmal auch der Kapitalismus. Hier trinken sozialdemokratische Alt-Honoratioren ebenso gerne ihr Bier, wie Verschwörungstheoretiker, konservative Grantler, DKP- und Grünen-Wähler. Selbst die schrille Truppe der Ortsgruppe von DIE PARTEI hat dem Laden schon seine Aufwartung gemacht und so manch mittlerweile weit entfernt wohnenden Ex-Moabiter zieht es immer wieder hierher. Hier wird noch anständig Skat gekloppt und im Hinterraum tagen allerlei Gruppen und Vereine. Und manchmal wird auch Fußball geguckt.
„Zum Stammtisch“ heißt dieses Refugien in meinem Wohn- (und Geburts-)bezirk Moabit. Wenn die Wirtsleute Regina und Klaus (hier nennen sich alle mit Vornamen) irgendwann nicht mehr wollen – schließlich sind sie schon über 70 – dann war’s das wohl. Auch in diesem jahrlang eher verranzten Teil Moabits wird allmählich alles schicker und teurer, und die meisten Zuzügler haben mit diesem Relikt Berliner Kultur nichts am Hut.
Am Donnerstag und Freitag habe ich gleich zwei Abende hintereinander im „Stammtisch“ verbracht. Zunächst ging es um die Gründung einer Mieterinitiative für das hier offiziell festgelegte Sanierungsgebiet, wo Miethaie und Spekulanten längst in Goldgräberstimmung verfallen sind. Es war ein voller Erfolg, fast 30 Anwohner folgten einer lediglich an die umliegenden Hauseingänge gepinnten Einladung. Und wo, wenn nicht in einer Kiezkneipe, sollte man sich treffen, um Protest und Widerstand gegen die drohende Vertreibung aus dem Kiez zu organisieren.
Am Freitag gab es schließlich wieder Reginas legendäre selbst gemachte Pferderouladen- stets eine gute Gelegenheit, um mich mit einigen Ex-Kollegen aus meiner Zeit bei einem etwas merkwürdigen Medienbetrieb zu Speis, Trank, Austausch, Disput und dummem Zeug zu treffen. Da trinkt man dann gerne ein Bier zuviel und bleibt eine Stunde zu lang.
Mein Leben besteht nun wahrlich nicht nur aus dem Besuch von Eckkneipen. Doch wenn es Läden wie den „Stammtisch“ nicht mehr gibt, wäre es ärmer
Pingback: Zum Stammtisch « Eckkneipen