Erst lesen, dann trinken

Zu den kleinen Freuden des Alltags gehört für mich Jahr für Jahr im November das Warten auf eine  bestimmte Buchsendung.

Schon 2007 schrieb ich in der “Jungen Welt” : “Es gibt sie noch: unbestechliche Institutionen, Felsen in der Zeitgeistbrandung, Mahner in der Wüste. Zu ihnen gehört Gerhard Eichelmann, dessen jährlich erscheinender Weinführer “Deutschlands Weine” zum unverzichtbaren Rüstzeug aller Weinfreunde gehört”.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, wenn man mal davon absieht, dass mich die “Junge Welt” vor knapp einem Jahr im wahrsten Sinne des Wortes fristlos vor die Tür setzte, womit sich seitdem das Berliner Arbeitsgericht beschäftigt.

Aber das ist eine andere Geschichte. Eichelmanns “Deutschlands Weine” gibt es jedenfalls immer noch. 930 Weingüter haben er und sein Verkosterteam diesmal unter die Lupe genommen, beurteilt werden knapp 10.000 Weine aus den aktuell im Verkauf befindlichen Jahrgängen. Dabei geht es nicht um die in einschlägigen Medien gepflegten Jubelarien über einzelne teure und seltene Spitzenweine, sondern um die Gesamtleistung der Betriebe, gemäß dem Motto: Einen guten Winzer erkennt man an seinem kleinsten Wein.

Auch Eichelmann benutzt bei der Bewertung das Parker-Punksystem, ergänzt durch sensorische Beschreibungen Dem stehe ich bekanntlich kritisch gegenüber, da ich die Bewertung eines Weines für sich, ohne den möglichen Kontext seines Genusses (Speisen, Jahreszeiten, Anlässe etc.) skeptisch sehe. Dennoch: Die Bewertungen sind stimmig und ergeben zusammen mit den Preisangaben auch eine praktische Einkaufshilfe.

Äußerst nützlich und lehrreich sind die Anmerkungen über die Güter und ihre jeweilige Produktphilosophie. Auch die Auseinandersetzung mit aktuellen Trends im deutschen Weinbau kommt nicht zu kurz. Vollkommen zu Recht kritisiert werden das fehlende Profil einiger Regionen, sowie der Hang zu hoher Restsüße bei angeblich trockenen Weinen, hohen Alkoholwerten und mitunter hohen Schwefelbeigaben. Für Kenner und Fachleute liefert das Werk ferner Beurteilungen von gereiften Weinen des Jahrgangs 2002 sowie Kurzportraits einiger herausragender Weinlagen, die aufgrund ihrer geologischen und geografischen Besonderheiten das Potenzial für absolute Spitzenweine haben. Doch nicht nur Wein-Nerds kommen voll auf ihre Kosten. Einsteiger werden mit knappen, aber präzisen Informationen über Anbauregionen und Rebsorten bestens versorgt und auch die “Schnäppchenjäger” werden bedient.

“Deutschlands Weine” ist und bleibt ein Klassiker der Weinpublizistik und eignet sich übrigens auch hervorragend als Weihnachtsgeschenk für Freunde deutscher Weine und solche, die es werden wollen. Das gilt natürlich auch für meinen “kulinarischen Notfallkoffer”, der in dem gleichen Verlag erschienen ist.

Gerhard Eichelmann: Deutschlands Weine 2013

992 Seiten, gebunden,Format 15.3×21.5 cm

Mondo Verlag Heidelberg

29,95 Euro

 

Ein Gedanke zu “Erst lesen, dann trinken

  1. Ja,ja, der Eichelmann und die “Parker-Punkte”. Zunächst einmal: Es gibt kein besseres Periodikum über Deutschlands Weine. Aber der gute Mann hat ziemlich spezielle Vorlieben, Höchstbewertungen sind stets für edelsüße Spezialitäten, meistens Trockenbeerenauslesen, reserviert.
    Ansonsten: Machen Sie weiter so mit Ihrem Blog. Denn der hebt sich wohltuend von dem Gourmet-Gefasel ab. “Genuss ist Notwehr” ist ein geniales Motto