Zu meinem Verständnis von Genuss und Kultur gehört auch das regelmäßige Lesen von Zeitungen. Und zwar so richtig mit Papier und Rascheln und Umblättern und manchmal auch Rausreißen von besonders wichtigen Artikeln. Langsam muss ich mich damit abfinden, dass ich in Bezug auf Mediennutzung offenbar ein Auslaufmodell bin.
Es gibt in Deutschland ohnehin nur wenige Tages-Printmedien, die das regelmäßige Lesen lohnen. Gerade in Berlin ist es ziemlich furchtbar, die Hauptstadtpresse bewegt sich konsequent zwischen boulevardesker Dumpfbackigkeit und mehr oder weniger gepflegter Langeweile.
Überregional findet man allerdings nach wie vor einige Leuchttürme des guten Journalismus. Zu denen gehört die im Jahr 2000 gegründete Financial Times Deutschland (FTD). Als Wirtschafts-Tageszeitung war sie der Gegenentwurf zum bräsigen Handelsblatt, in dem verbissen und monoton das Hohelied der „freien Marktwirtschaft“ gesungen wird. Die in ihrer Grundausrichtung ebenfalls wirtschaftsliberale FTD wagte den Spagat und beförderte den Diskurs. Fast nirgends wurde auf so hohem Niveau über volkswirtschaftliche und politische Grundfragen gestritten. Man leistete sich in der Redaktion neben marktradikalen Neocons und bekennenden Sozialdarwinisten auch Keynesianer, Gewerkschaftsfreunde, Umweltbewegte und sogar einen „Hausmarxisten“.
Beliebig wurde das eigentlich nie, dafür aber oftmals ausgesprochen spannend und nicht selten brillant geschrieben. „Biedermeier konnten die FTD-Redakteure nicht, und aus journalistischer Sicht ist das schon wieder ein Kompliment“, schreibt spiegelonline in einem der vielen jetzt erscheinenden „Nachrufe“ auf das Blatt. Doch mit diesem Konzept lässt sich auf dem ohnehin gebeutelten Printmedienmarkt offenbar kein Geld verdienen, und daher wird die FTD eingestellt.
Was bleibt? Eine FAZ, die seit dem Coming Out des Mitherausgebers Frank Schirrmacher als Kapitalismusskeptiker sicherlich spannender geworden ist. Und eine Süddeutsche, die die Fahne des im positiven Sinne liberalen Qualitätsjournalismus unverdrossen hoch hält und mit Lichtgestalten wie Heribert Prantl aufwarten kann. In den unteren Ligen tummeln sich überregional ferner noch die linksliberale taz (mit der ich seit ihrer Parteinahme für den deutschen Angriffskrieg auf Jugoslawien nur noch wenig anfangen kann), das linke Neue Deutschland (für das ich gelegentlich schreibe) und die linksradikale, laut Selbstverständnis „marxistische Tageszeitung“ junge welt (die mich vor einem Jahr krachend vor die Tür gesetzt hat), wobei letztere nach eigenem Bekunden kurz vor dem Exitus steht.
Wie dem auch sei: Die FTD wird mir fehlen. Und was fast noch schlimmer ist: Die Entwicklung auf dem Medienmarkt lässt es als ausgeschlossen erscheinen, dass eine derartige Zeitung jemals wieder entstehen könnte
Ärgerlich, dass ausgerechnet die guten Zeitungen mit Problemen zu kämpfen haben und es den Klatschblättern noch gut geht. Am Ende sind wir vielleicht mit der BILD allein geschlagen.