Es geht auch ohne

Fehlt nur noch die Vinaigrette, und schon kann ein Rohkostteller zur wahren Delikatesse werden.

Zu meinen großen Herausforderungen als Gastgeber und Hobbykoch gehören die seltenen Besuche meiner Schwester. Denn die ist nicht nur Vegetarierin, sondern meidet u.a. auch Nachtschattengewächse (Kartoffeln, Tomaten etc.) und vor allem Jod.

Natürlich will ich ihr – der ebenfalls ambitionierten Hobbyköchin – dennoch ein angemessenes Menü auftischen. Na dann legen wir mal los: Als Vorspeise gibt es – auch das eine strenge ernährungsphysiologische Vorgabe meiner Schwester – einen Rohkostteller. Das, was Fleisch-Maniacs gerne als Kaninchenfutter abtun, kann sehr schmackhaft sein. Ich entschied mich diesmal für selbstgezogene Senf- und Linsensprossen, frisch geriebene Rote Bete, ein paar Scheiben rohe Stein-Champignons und ein paar Scheiben Avocado, die man mit Zitrone beträufeln sollte, damit sie nicht braun anlaufen.Ohne Dressing wäre das ein wenig fade, doch aus Dijon-Senf, Himbeeressig, Olivenöl und Honig kann man da was Hübsches zusammenrühren.

Es folgt das Süppchen: Rote Linsen mit Kurkuma, Koriander, Liebstöckel, Meersalz und schwarzem Pfeffer einweichen, aufkochen und pürieren – das war’s.

Auch das Hauptgericht ist keine Hexerei. Sojaschrot wird am Vortag in einer Brühe aus Würzl mit Chili, Knoblauch, Thai-Basilikum-Blüten und Estragon aufgekocht und eingeweicht. Dann Reis vorkochen, Champignons ganz langsam ausschwitzen lassen, das Sojagranulat dazu und alles in der Pfanne mit dem Reis vermischen. Und schon hat man ein amtliches und dennoch ziemlich abgefahrenes Pseudo-Risotto.

Ein wahres Kinderspiel dann schließlich die Nachspeise. Soja-Vanilleeis im Bioladen kaufen, ein Gläschen selbst eingewecktes Birnenmus öffnen, letzteres sanft erhitzen, mit einem Spritzer Obstschnaps verfeinern und mit dem Eis servieren.

Meine Schwester setzte noch einen drauf und brachte für den abschließenden koffeinfreien Espresso macchiato (natürlich nicht mit Milch, sondern einem aufgeschäumten Hafergetränk) noch unglaublich leckere kleine Kugeln aus Kokosraspeln und Trockenfrüchten in einer Carob-Hülle mit: Veganer-Marzipankartoffeln vom Feinsten.

Wein haben wir zu dem Essen auch getrunken. Da ehrt mich das Vertrauen meiner Schwester, denn dieses Vergnügen gönnt sie sich nur ein Mal im Jahr, und da darf ich als Sommelier natürlich nicht versagen. Doch der wunderbar klare und reintönige Grau-, sowie der füllige, gut ins Holz eingebundene Spätburgunder aus der Pfalz überzeugten voll und ganz.

Aber das war nur Nebensache. Viel spannender ist stets, ohne tierische Zutaten (also auch keine Eier oder Milchprodukte) sowie mit weiteren Restriktionen bei den Zutaten ein mehrgängiges Menü zu fabrizieren, das nicht nur der puren Nährstoffversorgung dient, sondern vor allem großartig schmeckt. Man muss jedenfalls kein Vegetarier oder Veganer sein, um sich in diesem Ernährungskosmos ausgesprochen genussvoll bewegen zu können. Für jeden Fleisch-, Sahne- oder Eier-Fan ist es eine garantiert spannende Erfahrung, die den eigenen Genuss-Horizent  beträchtlich erweitert.

Wer so speziell (sie würde sagen: bewusst ) lebt wie meine Schwester, hat natürlich des Öfteren mit Missverständnissen zu kämpfen. Und für ein besonders skurriles bin ich höchstpersönlich verantwortlich. Sie ist JODSENSIBEL, d.h. sie gehört zu jener gar nicht so kleinen Gruppe von Menschen, bei denen die permanente, meist versteckte Jodbeigabe in Lebensmitteln zu mitunter heftigen körperlichen Reaktionen führt. Seit Jahren engagiert sie sich in einer diesbezüglichen Selbsthilfegruppe. Und ich Trottel bezeichne sie in meinem Buch (Der kulinarische Notfallkoffer) nicht als JOD- sondern als JOBSENSIBEL, und keinem Lektor ist es aufgefallen. Au Backe! Aber ich hoffe, dass sowohl meine hiermit öffentlich verbreitete Abbitte, als auch das hervorragende Menü sie nachhaltig versöhnt haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9 Gedanken zu “Es geht auch ohne

  1. Herr Balcerowiak kocht vegan. Nicht zu fassen. Da bekommt man ja richtig Appetit. Nur das dafür erst seltene Besuche der Schwester nötig sind, ist ein kleiner Wermutstropfen. Und ich häng in Schwaben, wo man in Restaurants bei der Frage nach veganem Essen bestenfalls mitleidige Blicke erntet und Rührei, Käseplatte oder Tomatencremesuppe angeboten bekommt.

    P.S. “Jobsensibel” ist natürlich großartig. Das hat das Potential zum Wort des Monats.

  2. Veganer-Marzipankartoffeln??? Für was in der Welt hält deine Schwester denn normale Marzipankartoffeln? Nachtschattengewächse?

  3. @hinterwäldler.
    In normalen Marzipankartoffeln ist in der Regel Eiweiß. Und das ist bekanntlich dermaßen was von unvegan

  4. Schon mal was davon gehört, dass Pflanzen auch Eiweiß enthalten? Z.B. Soja: ne richtige Eiweißbombe. Es gibt jede Menge Marzipankartoffelrezepte ohne Ei-Eiweiß, z.B.: 200 g Mandeln, 3 EL Robinienhonig, 1 EL Rosenwasser, Kakaopulver zum Bestäuben. Macht meine Schwägerin so, sehr zu empfehlen.

  5. hi brother
    ja es war grossartig sowohl geschmack- als stilvoll! wahnsinnskommentare in deinem blog! vielleicht klären wir noch dass die bezeichnung “veganer marzipankartoffeln” ebenso von dir ist wie das zu recht gelobte wort “jobsensibel”, dem ich weitere verbreitung (gerne samt buch) von herzen wünsche…
    sister

    • Gerne bestätige ich hiermit öffentlich, dass nicht nur die Wortschöpfung JOBSENSIBEL, sondern auch die – offensichtlich umstrittene – Bezeichnung einer Kokosraspel-Trockenobst-Kugel in Carob-Hülle als “VEGANE MARZIPANKARTOFFEL” einzig und allein auf meinem Mist gewachsen sind.